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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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bis zu 80 Meter oder mehr,
    2) Abraum von Torf (eine Winterarbeit, das Abfahren von Fels und Gestein) mit Förderung per Hand bis zu 80 Meter.
    Achtzig Meter – das ist eine bedeutende Förderung. Diese Durchschnittszahl bedeutet, dass man den besten Brigaden – den
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, Ganoven, allen »Bestarbeitern«, die noch nicht die Sätze der
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bekamen, die noch die Stachanow- oder Stoßarbeiter-Ration bekamen, noch die Norm schafften – die nahegelegenen, günstigen Gruben gab, mit Förderung fünf, sechs Meter bis zum Trichter an der Förderbrücke.
    Darin lag eine Produktionslogik, eine politische Logik, und eine Logik der Unmenschlichkeit und des Mordens.
    Ich erinnere mich nicht, dass in den anderthalb Jahren Arbeit im Bergwerk »Partisan«, von August siebenunddreißig bis Dezember achtunddreißig, ich und unsere Brigade auch nur einen Tag und eine Stunde in der nächstgelegenen, günstigen, für die
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einzig möglichen Grube gearbeitet hätten.
    Aber wir erfüllten nicht die »Prozente«, und darum wurde unsere Brigade (es fand sich immer eine solche Brigade, und ich arbeitete immer gerade in einer solchen Brigade von
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) zu einem weiten Förderweg abgestellt. Dreihundert, zweihundertfünfzig Meter Förderweg – das ist Mord, vorsätzlicher Mord an jeder Bestbrigade.
    Und so karrten wir über diese dreihundert Meter zum Halali der Hunde, aber auch diese dreihundert Meter, wenn der Durchschnitt achtzig sind, bargen noch ein weiteres Geheimnis. Die rechtlosen Achtundfünfziger wurden immer geprellt und ihr Ausstoß eben jenen Ganoven oder
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angerechnet, die nur zehn Meter bis zur Förderbrücke schoben.
    Ich erinnere mich gut an eine Sommernacht, in der ich die von meinen Kameraden beladene große Schubkarre auf den Steg schob. Kleine Schubkarren zu benutzen war in unserer Grube nicht erlaubt. Eine Schubkarre, beladen mit Schlamm – an der Kolyma ist die Schicht, die Gold enthält, unterschiedlich: Kiesel, Schlamm oder auch Felsgestein mit Schlamm.
    Meine Muskeln bebten vor Schwäche und zitterten jeden Moment an meinem ausgezehrten gequälten Körper mit den Skorbutgeschwüren und unbehandelten Erfrierungen, mit den Schmerzen von den Schlägen. Man musste auf den zentralen Steg herausfahren aus unserer Ecke, herausfahren von dem Brett, das von unserer Grube auf den zentralen Steg führt. Auf den zentralen Steg fuhren einige Brigaden – unter Poltern und Lärmen. Hier wird man auf dich nicht warten. Entlang des Stegs liefen die Chefs und trieben mit Stöcken und Fluchen an, lobten die, die die Schubkarre rennend schoben, und fluchten über hungrige Schnecken wie mich.
    Fahren musste man trotzdem durch die Schläge, durch das Fluchen, durch das Gebrüll hindurch, und ich stieß die Schubkarre auf den zentralen Steg, wendete sie nach rechts und drehte mich selbst, der Bewegung der Karre folgend, um rechtzeitig einzugreifen, wenn das Rad abdreht.
    Gut fährst du nur dann, wenn du mit dem Körper dabei bist, bei der Schubkarre, nur dann kannst du sie steuern. Das ist wie beim Fahrrad, vom physischen Gefühl her. Aber das Fahrrad war irgendwann ein Sieg. Die Schubkarre dagegen eine Niederlage, eine Beleidigung, die Hass und Verachtung für dich selbst weckte.
    Ich schob die Schubkarre hinaus auf den Steg, und die Karre rollte zur Förderbrücke, und ich rannte hinter der Schubkarre, lief hinter der Schubkarre über den Steg, danebentretend und wankend, um bloß das Rad der Schubkarre auf dem Brett zu halten.
    Ein paar Dutzend Meter – und in den zentralen Steg mündete der Abzweig einer anderen Brigade, und von diesem Brett, von dieser Stelle konnte man die Schubkarre nur im Rennen schieben.
    Ich wurde sofort vom Steg gestoßen, grob gestoßen, hielt mit Mühe die Schubkarre im Gleichgewicht, denn es war ja Schlamm, und alles, was auf dem Weg verschüttet wurde, musste aufgesammelt und weitergefahren werden. Ich war sogar froh, dass man mich gestoßen hatte, ich konnte ein wenig Atem schöpfen.
    Atem schöpfen durfte man in der Grube nicht einen Moment. Dafür schlugen einen die Brigadiere, die Vorarbeiter, die Begleitposten – ich wusste das genau, darum »wand« ich mich, belastete einfach andere Muskeln, statt der Muskeln des Schultergürtels und der Schulter hielten mich irgendwelche wechselnden Muskeln auf dem Boden.
    Die Brigade mit den großen Schubkarren fuhr vorbei, und ich konnte wieder auf den zentralen Steg hinausfahren.
    Ob man etwas zu essen bekommt an diesem Tag

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