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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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– darüber dachte man nicht nach, über gar nichts dachte man nach, im Hirn war nichts geblieben als Flüche, Bitterkeit und – Kraftlosigkeit.
    Nicht weniger als eine halbe Stunde war vergangen, bis ich mit meiner Schubkarre an der Förderbrücke ankam. Die Förderbrücke ist nicht hoch, nur einen Meter, mit einem Belag aus dicken Brettern. Es gibt ein Loch – einen Trichter, in diesen umzäunten Bunker musste man die Erde schütten.
    Unter der Förderbrücke laufen Eisenwägelchen, und die Waggons segeln an einem Tau auf die Waschtrommel – auf das Waschgerät, in dem unter dem Wasserstrahl die Erde geschlämmt wird und auf dem Grund des Trogs sich das Gold absetzt. Oben an dem Waschtrog von ca. zwanzig Metern Länge arbeiten Leute, sie streuen mit kleinen Schaufeln Erde, sie sieben. Das Sieben machen nicht die Schubkarrenschieber, überhaupt lässt man die Achtundfünfziger gar nicht in die Nähe des Goldes. Aus irgendeinem Grund galt die Arbeit an der Waschtrommel – sie ist natürlich leichter als die Grube – als nur für »Volksfreunde« zulässig. Ich hatte einen Zeitpunkt gewählt, als auf der Förderbrücke keine Schubkarren und anderen Brigaden waren.
    Die Förderbrücke ist nicht hoch. Ich hatte auch an hohen Förderbrücken gerarbeitet – mit zehn Metern Steigung. Dort stand an der Einfahrt auf die Förderbrücke extra ein Mensch, der dem Karrenschieber half, seine Last auf den höchsten Punkt, zum Trichter hinauszufahren. Das war anspruchsvoller. In dieser Nacht war die Förderbrücke klein, aber trotzdem hatte ich nicht die Kräfte, die Schubkarre vorwärts zu schieben.
    Ich spürte, dass ich zu spät komme, und unter Anspannung der letzten Kräfte schob ich die Schubkarre bis zum Anfang der Steigung. Aber ich hatte nicht die Kräfte, die Schubkarre, diese nicht einmal volle Schubkarre, bis oben zu schieben. Ich, der ich schon lange über die Erde des Bergwerks schlurfte, die Füße bewegte, ohne die Sohlen von der Erde zu lösen, nicht die Kräfte hatte, es anders zu machen – den Fuß weder höher zu heben, noch schneller. Ich lief schon lange so durch das Lager und durch die Grube – unter den Hieben der Brigadiere, der Begleitposten, der Vorarbeiter, der Einsatzleiter, der Barackendienste und Aufseher.
    Ich spürte einen Stoß in den Rücken, nicht stark, und spürte, wie ich von der Förderbrücke falle, mitsamt der Schubkarre, die ich noch am Griff hielt, als müsste ich noch irgendwohin fahren, irgendwohin steuern außer in die Hölle.
    Man hatte mich einfach hinuntergestoßen – die großen Schubkarren der Achtundfünfziger rollten zum Trichter. Das waren unsere eigenen Kameraden, die Brigade, die in der Nachbarsektion lebte. Aber auch diese Brigade und ihr Brigadier Furssow wollten nur zeigen, dass er und seine Brigade und seine große Schubkarre gar nichts gemeinsam haben mit solch einem hungrigen Faschisten wie mir.
    Am Trichter stand der Einsatzleiter unseres Abschnitts, der Freie Pjotr Brashnikow, mit dem Bergwerkschef Leonid Michajlowitsch Anissimow.
    Jetzt wollte ich den Schlamm mit der Schaufel aufsammeln – das ist ein glitschiger Steinbrei, schwer wie Blei und ebensowenig zu fassen, ein glitschiger Steinteig. Mit der Schaufel musste ich ihn in Stücke zerhauen und aufnehmen, um ihn in die Schubkarre zu werfen, [und] es war unmöglich, meine Kräfte reichten nicht, und ich brach mit den Händen Stücke ab von diesem Schlammteig, dem schweren, glitschigen, kostbaren Schlamm.
    Daneben standen Anissimow und Brashnikow und warteten, bis ich alles bis auf das letzte Steinchen in die Schubkarre befördert hatte. Ich schob die Schubkarre an den Steg heran und begann mit der Steigung und schob die Schubkarre wieder nach oben. Die Chefs hatten nur Sorge, dass ich den anderen Brigaden den Weg verstelle. Ich stellte die Schubkarre wieder auf den Steg und versuchte, sie auf die Förderbrücke hinauszustoßen.
    Und wieder warf man mich um. Dieses Mal hatte ich den Schlag erwartet, und es gelang mir, die Schubkarre auf der Steigung selbst zur Seite zu ziehen. Andere Brigaden fuhren an und ab, und ich begann wieder mit der Steigung. Ich rollte vor, kippte – die Ladung war gering, ich kratzte mit der Schaufel die Reste des kostbaren Schlamms von den Seitenwänden meiner Karre und schob die Karre hinaus auf den Rücksteg, auf den Reservesteg, auf den zweiten Steg, über den man die leeren Schubkarren schob, die zurückgingen zur Goldgrube.
    Brashnikow und Anissimow warteten das Ende

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