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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Festland zurück und leben schon viele Jahre in Kiew. Baklanow selbst stammt aus Lwow.
    Der Feldscher wohnte in einer eigenen Hütte, eine Hälfte davon ist das Ambulatorium. Die Hütte grenzte ans Badehaus. Mehr als zehn Jahre war ich weder nachts noch am Tag allein gewesen, und mit meinem ganzen Wesen empfand ich dieses Glück, auch noch getränkt mit dem feinen Duft der grünen Lärchen, der unzähligen, stürmisch blühenden Gräser. Ein Hermelin lief über den letzten Schnee, Bären kamen vorbei, aus den Höhlen gekrochen, und rüttelten an den Bäumen … Hier fing ich an Gedichte zu schreiben. Diese Hefte haben sich erhalten. Grobes gelbes Papier … Ein Teil der Hefte ist aus Einschlagpapier, weißem, von bester Qualität. Dieses Papier, zwei oder drei Rollen des wunderbarsten Papiers der Welt, hat mir der Zuträger Grischa Barkan geschenkt. Sein ganzes Ambulatorium stand voll mit solchen Rollen, woher er sie genommen hatte und wohin er sie brachte – weiß ich nicht. Im Krankenhaus arbeitete er nicht lange, er wurde ins benachbarte Bergwerk versetzt, aber kam oft zum Krankenhaus und hielt für die Rückfahrt Fahrzeuge an.
    Grischa Barkan, ein Modenarr und Schönling, kam auf die Idee, im Stehen zu fahren, auf den Fässern, um sich die Chromlederstiefel und die dunkelblauen freien Hosen nicht mit Benzin zu beschmieren. Das Fahrerhaus war besetzt. Der Fahrer erlaubte ihm, für diese zehn Kilometer in den Kasten zu steigen, aber an einer steilen Stelle gab es einen Ruck, Barkan flog auf die Chaussee und spaltete sich den Schädel am Felsgestein. Ich sah seinen Körper in der Morgue. Barkans Tod ist, glaube ich, der einzige Fall, in dem sich das Schicksal nicht auf Seiten der Zuträger einmischte.
    Warum Barkan sich mit Sawodnik nicht vertrug, erriet ich schnell. Wahrscheinlich hatte er »Signale« zu einer so delikaten Sache wie dem Holzeinschlag gegeben, ohne Interesse dafür zu zeigen, was diese Täuschung bedingte und wem sie nutzte. Schon bei der ersten Bekanntschaft mit Sawodnik sagte ich, dass ich ihm nicht im Weg stehen werde, aber ihn auch bitte, sich in meine Dinge nicht einzumischen. Keine meiner Arbeitsbefreiungen darf angefochten werden. Ich werde niemandem auf seine Weisung hin eine Arbeitspause geben. Mein Verhältnis zu den Ganoven ist allgemein bekannt, und von dieser Seite braucht Sawodnik keinen Druck, keine Überraschungen zu befürchten.
    Genauso wie Sawodnik selbst aß ich aus dem allgemeinen Kessel. Die Holzfäller wohnten an drei Orten im Umkreis von hundert Kilometern vom ersten Abschnitt. Ich fuhr herum und übernachtete zwei, drei Nächte in jedem Abschnitt. Der Stützpunkt war die Duskanja. An der Duskanja erfuhr ich etwas für jeden Mediziner sehr Wichtiges – beim Badewärter (dort gab es einen Tataren aus dem Krieg) lernte ich das Desinfizieren ohne Desinfektionskammer. Eine für die Lager an der Kolyma, in denen die Läuse beständige Begleiter der Arbeiter sind, nicht unwichtige Sache. Ich führte mit hundertprozentigem Erfolg eine Desinfektion in Eisenfässern durch.
    Später in der Transportverwaltung wurden diese meine Kenntnisse als Sensation aufgenommen – die Läuse beißen ja nicht nur den Häftling, sondern auch den Begleitposten, den Soldaten. Ich veranstaltete viele Desinfektionen mit gleichbleibendem Erfolg, aber gelernt hatte ich diese Sache bei Sawodnik an der Duskanja. Als er sah, dass ich mich bewusst nicht einmische in seine komplizierten Manöver mit Baumstümpfen, Stapeln und Festmetern, wurde Sawodnik gutmütiger, und als er merkte, dass ich keinerlei Lieblinge hatte, taute er völlig auf. Und hier erzählte er mir auch von Lefortowo und von seinem Kampf um den Bart. Er schenkte mir einen Gedichtband von Ehrenburg . Jede Art von Literatur war ihm absolut fremd. Überhaupt mochte Sawodnik keine Romane etc., er gähnte bei den ersten Zeilen. Die Zeitung, politische Neuigkeiten sind etwas anderes. Sie lösten immer ein Echo aus. Sawodnik mochte die lebendige Arbeit mit lebendigen Menschen. Und vor allem langweilte er sich, er schmachtete und wusste nicht, wohin mit seinen Kräften, und versuchte, seinen ganzen Tag vom Aufwachen bis zum Schlaf mit den Sorgen von heute und morgen auszufüllen. Er schlief sogar immer möglichst nah bei der Arbeit – bei den Arbeitern, am Fluss, bei der Flößung, er schlief im Zelt oder auf einem Liegebett in irgendeiner Baracke, ganz ohne Matratze und Kissen –, nur die Steppjacke unter dem Kopf.
    1950 im Sommer musste ich nach

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