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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Universalwaggon mit Doppelstockpritschen auf einem Schlitten. Die Holzfällerbrigade von zwanzig Mann und das Werkzeug fanden bequem Platz. Aber noch war Sommer, und der Sommer ist an der Kolyma sehr heiß, nur die Tage sind heiß und die Nächte kalt, der Waggon war gut, aber sehr viel schlechter als ein einfaches Segeltuchzelt. Im Winter jedoch waren die Wände des Waggons zu kalt, zu dünn. Der Frost der Kolyma stellt jedes Ruberoid, jede Dachpappe, jedes Sperrholz auf die Probe, zerbröselt, zerbricht sie. Im Waggon konnte man im Winter nicht leben, und die Holzfäller kehrten in die in Jahrtausenden erprobten Hütten zurück. Der Waggon wurde im Wald stehengelassen. Ich riet Sawodnik, ihn ins landeskundliche Museum von Magadan zu geben, aber ich weiß nicht, ob er auf meinen Rat gehört hat.
    Die zweite Spielerei von Sawodnik und Winokurow war ein Aeroschlitten – wie ein Gleitboot, das über den Schnee fliegt. Die irgendwo vom Großen Land bezogenen Aeroschlitten wurden in Lehrbüchern zur Erschließung des Nordens verstärkt empfohlen. Doch die Aeroschlitten brauchen grenzenlose weiße Räume, und das Land an der Kolyma besteht zu hundert Prozent aus Höckern und Gruben, kaum mit Schnee überstreut, der bei Wind und Sturm aus allen Ritzen geblasen wird. Die Kolyma ist schneearm, und die Aeroschlitten zerbrachen schon bei den ersten Versuchen. Aber selbstverständlich legte Winokurow in seinen Rechenschaftsberichten sehr großen Nachdruck auf all diese Waggons und Aeroschlitten.
    Sawodnik hieß Jakow Owsejewitsch. Nicht Jewsejewitsch, nicht Jewgenjewitsch, sondern Owsejewitsch, worauf er bei allen Kontrollen und Appellen lautstark bestand, was die Mitarbeiter der Registrierung immer in Aufregung versetzte. Sawodnik las und schrieb perfekt, er besaß eine kalligraphische Handschrift. Ich weiß nicht, was Sujew-Insarow zum Charakter von Sawodniks Handschrift meint, aber die obligatorische, langsame, sehr komplexe Verzierung war erstaunlich. Nicht die Initialien, kein Ja. S., ein nachlässiges Schwänzchen – sondern ein sorgfältig, langsam ausgeschriebenes kompliziertes Muster, das man nur in früher Jugend oder im späten Gefängnis lernen und behalten kann. Auf das Malen seines Namens verwendete Sawodnik mindestens eine Minute. Dort fügten sich auf feinste und klarste Weise das Initial Ja wie das Initial des Vatersnamens O – ein sehr rundes, besonderes O –, wie der Nachname Sawodnik, schwungvoll gemalt mit deutlichen großen Buchstaben, und eine energische Verzierung, die nur den Nachnamen einfasste, und dann noch besonders komplizierte, besonders luftige Schnörkel – quasi der Abschied des Künstlers von einer mit Liebe ausgeführten Arbeit. Ich habe es viele Male unter beliebigen Umständen geprüft, ob im Sattel oder auf dem Zeichenbrett, aber die Unterschrift von Kommissar Sawodnik wird langsam, sicher und klar sein.
    Unser Verhältnis war hervorragend, gut wäre zu wenig gesagt. Damals, im Sommer 1950, wurde mir angeboten, ins Krankenhaus zurückzukehren, auf den Posten des Leiters der Aufnahme. Die Aufnahme eines riesigen Lagerkrankenhauses mit tausend Betten ist keine einfache Sache, und jahrelang konnte man sie nicht in Gang bringen. Auf den Rat sämtlicher Organisationen berief man mich. Mit dem neuen Oberarzt Amossow verabredete ich ein paar Prinzipien, auf denen die Arbeit der Aufnahme gründen wird, und sagte zu. Sawodnik kam zu mir gerannt.
    »Ich werde sofort für Aufhebung sorgen, Schluss mit der Vetternwirtschaft«.
    »Nein, Jakow Owsejewitsch«, sagte ich. »Sie und ich kennen beide das Lager. Ihr Schicksal ist Winokurow, der Chef. Er hat vor, in Urlaub zu fahren. Eine Woche nach seiner [Abreise] wird man Sie aus dem Krankenhaus entlassen. Aber für meine Arbeit hat Winokurow nicht so große Bedeutung. Ich möchte im Warmen schlafen, wo das einmal möglich ist, und möchte an einer einzigen Frage arbeiten, einen Nutzen bringen.«
    Mir war klar, dass ich in der Aufnahme keine Gedichte würde schreiben können, höchstens gelegentlich. Alles Papier von Barkan war schon beschrieben. Und dort hatte ich jede freie [Minute] geschrieben. Das Gedicht mit der Schlusszeile »Manchmal friert es im Paradies« ist an der gefrorenen Mündung der Duskanja-Quelle entstanden, krakelig in ein Rezepturenheft geschrieben. Und gedruckt erst fünfzehn Jahre später in der »Literaturzeitung« .
    Sawodnik wusste nicht, dass ich Gedichte schreibe, und er hätte auch nichts verstanden. Für Prosa war das

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