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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Antonina Sergejewna. »Wir werden arm sein in einem Jahr. Und er ist für drei Jahre hergekommen. Uns allen wurde verboten, Häftlinge als Dienstpersonal zu halten. Wozu sollen diese unglücklichen Mädchen bei den allgemeinen Arbeiten leiden? Wessentwegen? Seinetwegen. Vom Brennholz will ich gar nicht reden. Im letzten Winter habe ich nicht einen Rubel aufs Sparbuch gelegt. Schließlich habe ich Kinder.«
    »Alle haben Kinder«, sagte der Hauptbuchhalter. »Aber was, was kann man hier tun?«
    »Ihn zum Teufel schicken«, brüllte Mostowoj.
    »Bemühen Sie sich, in meiner Gegenwart solche Dinge nicht zu sagen«, sagte der Hauptbuchhalter. »Sonst werde ich gezwungen sein, es an die entsprechende Stelle zu melden.«
    »Ich habe einen Witz gemacht.«
    »Bemühen Sie sich, keine solchen Witze zu machen. Pjotr Iwanowitsch hat sich gemeldet.«
    »Tschurbakow muss hierher gerufen werden. Und Sie, Antonina Sergejewna, müssen mit ihm reden.«
    »Warum ich?«, Antonina Sergejewna wurde rot. Der Major im Medizinischen Dienst Tschurbakow – der Chef der Sanitätsverwaltung – war berühmt für seine zügellosen Ausschweifungen und eine unwahrscheinliche Trinkfestigkeit. Beinahe in jedem Bergwerk hatte er Kinder – von den Ärztinnen, den Feldscherinnen, von Krankenschwestern und Sanitäterinnen.
    »Ja, unbedingt Sie. Und Sie müssen Major Tschurbakow erklären, dass Oberstleutnant Rjurikow mit seinem Posten liebäugelt, verstehen Sie? Sagen sie ihm – dass der Major erst seit Kurzem Parteimitglied ist, und Rjurikow …«
    »Rjurikow ist Parteimitglied seit 1917«, sagte seufzend Mostowoj. »Aber wozu braucht er Tschurbakows Posten?«
    »Ach, Sie verstehen gar nichts. Pjotr Iwanowitsch hat vollkommen recht.«
    »Und wenn man Tschurbakow schreibt?«
    »Und wer wird diesen Brief hinschaffen? Wem ist sein Kopf auf den Schultern nicht lieb? Womöglich wird unser Bote abgefangen oder, noch einfacher, er erscheint mit dem Brief gleich in Rjurikows Kabinett? Solche Geschichten hat es gegeben.«
    »Und per Telefon?«
    »Per Telefon laden Sie ihn nur ein. Sie wissen doch, dass bei Smolokurow Zuhörer saßen.«
    »Na, bei diesem sitzen keine.«
    »Wer weiß. Kurz gesagt, Vorsicht und Aktivität, Aktivität und Vorsicht …«
    <1963>

Der Kriegskommissar
    Die Operation – die Extraktion eines Fremdkörpers aus der Speiseröhre – war ins Operationsbuch eingetragen von der Hand Valentin Nikolajewitsch Trauts, eines der drei Chirurgen, die die Extraktion machen. Der Chef war hier nicht Traut – sondern Anna Sergejewna Nowikowa, eine Wojatschek-Schülerin, Otolaryngologin aus der Hauptstadt, eine südliche Schönheit, die niemals in Haft gewesen war wie ihre beiden Assistenten, Traut und Lunin. Eben weil die Chefin Nowikowa war, hatte man die Operation zwei Tage später als möglich anberaumt. Achtundvierzig Stunden hatte man die glänzende Wojatschek-Schülerin mit Wassergüssen behandelt, ihr Salmiak eingeflößt, Magen und Darm gespült und sie mit starkem Tee vollgepumpt. Nach zwei Tagen zitterten Anna Sergejewnas Finger nicht mehr – und die Operation begann. Die Quartalssäuferin und Drogensüchtige, die nach dem Rausch alle Flakons in eine einzige schwarze Schale gekippt und diesen Trunk geschlürft hatte, um sich erneut zu berauschen und einzuschlafen. In diesen Fällen reichte ein kleiner Trunk. Jetzt schrie Nowikowa, in Kittel und mit Maske, die Assistenten an und gab kurze Kommandos – ihr Mund war gespült, ausgewaschen, und nur manchmal drang Schnapsgeruch zu den Assistenten herüber. Die Operationsschwester, die die Nasenflügel blähte beim Einatmen des unpassenden Schnapsgeruchs, lächelte ganz wenig unter der Maske und vertrieb das Lächeln eilig von ihrem Gesicht. Die Assistenten lächelten nicht und dachten nicht an den Schnapsgeruch. Die Operation verlangte Aufmerksamkeit. Traut hatte solche Operationen schon gemacht, aber selten, und Lunin sah sie zum ersten Mal. Für Nowikowa aber war das Anlass, ihre besondere Klasse, ihre goldenen Hände, ihre höchste Qualifikation zu zeigen.
    Der Kranke begriff nicht, warum man die Operation um einen Tag und einen weiteren Tag verlegt, aber er schwieg – kommandieren konnte er hier nicht. Der Kranke wohnte beim Krankenhauschef – man hatte ihm gesagt: Er wird gerufen. Zuerst war bekannt, dass Traut operiert, dann verging ein weiterer Tag – und es hieß: morgen, und nicht Traut, sondern Nowikowa. All das war für den Kranken quälend, aber er war ein Militär, noch dazu

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