Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
sich für den Kommissar finden. Kononow wollte nicht nach Magadan fahren, in der Hauptstadt der Kolyma hilft ihm sein Oberstenrang nicht viel. Man wird ihn dort natürlich aufnehmen, aber an Aufmerksamkeit und Sorge wird es fehlen. Dort nehmen Generäle und Generalsfrauen die Zeit der Ärzte in Anspruch. Kononow wird dort sterben. Sterben mit vierzig Jahren wegen eines verdammten Knochens im Hals. Kononow quittierte alles, alles, was man von ihm verlangte. Er verstand, dass es für ihn um Leben und Tod ging. Kononow quälte sich.
»Sie werden es machen, Valentin Nikolajewitsch?«
»Ja, ich«, sagte Traut unsicher.
»Und worauf warten wir denn?«
»Warten wir noch einen Tag ab.«
Kononow verstand nichts. Man ernährte ihn durch die Nase, flößte ihm Nahrung ein, und an Hunger sollte er nicht sterben.
»Morgen wird Sie noch ein anderer Arzt anschauen.«
An Kononows Bett wurde eine Ärztin geführt. Die erfahrenen Finger ertasteten den Knochen sofort und berührten ihn beinahe schmerzfrei.
»Nun, Anna Sergejewna?«
»Morgen früh.«
Diese Operation hat zu dreißig Prozent tödllichen Ausgang. Jetzt war Kononow im Postoperationszimmer. Der Knochen hatte sich als so riesig erwiesen, dass sich Kononow schämte, ihn anzuschauen, man brachte ihn ihm für ein paar Stunden im Glas. Kononow lag im Postoperationszimmer. Der Chef brachte ihm ab und zu Zeitungen.
»Alles verläuft gut.«
Kononow lag in einem winzigen Zimmer, in dem kaum ein Bett Platz fand. Die Kontrollfristen waren abgelaufen, alles war gutgegangen – besser könnte es nicht sein –, hier zeigte sich die Qualifikation der Wojatschek-Schülerin, aber was für eine Kontrollfrist für die Schwermut! Der Arrestant, der Häftling kann dieses Gefühl noch in irgendwelchen materiellen Schranken halten, kann es mithilfe des Begleitpostens, der Gitter, der Kontrollen, der Appelle, der Essensverteilung steuern, aber wie all das für den Oberst? Kononow beriet sich mit dem Krankenhauschef.
»Ich warte schon lange auf diese Frage – der Mensch ist immer Mensch. Natürlich, die Schwermut. Aber ich kann Sie erst in einem Monat entlassen – zu groß ist das Risiko und zu selten der Erfolg, um ihn nicht zu schätzen. Ich kann Ihnen erlauben, in den Krankensaal für Häftlinge umzuziehen, dort werden vier Personen sein, Sie sind der fünfte. Dann gleichen sich auch das Interesse des Krankenhauses und Ihres genau aus.«
Kononow stimmte sofort zu. Das war ein guter Ausweg. Vor den Häftlingen hatte der Oberst keine Angst. Sein Umgang mit dem Krankenhaus hatte Kononow überzeugt, dass Häftlinge genauso Menschen sind, sie werden ihn, Oberst Kononow, nicht beißen, nicht mit einem Tschekisten oder Staatsanwalt verwechseln, immerhin ist er, Oberst Kononow, Soldat im aktiven Dienst. Oberst Kononow hat nicht vor, die neuen Leute, die neuen Nachbarn auszuforschen, zu beobachten. Ihm ist es einfach langweilig, allein zu liegen, und fertig.
Viele Wochen wanderte der Oberst noch im grauen Krankenhauskittel über den Korridor. Der Kittel war staatlich, ein Häftlingskittel. Durch die offene Tür sah ich den Oberst, in den Kittel gehüllt, aufmerksam dem üblichen Romanisten lauschen.
Ich war damals Oberfeldscher in der Chirurgie, und dann wurde ich in den Wald versetzt, und Kononow verschwand aus meinem Leben, wie Tausende Menschen verschwanden und kaum merkliche Spuren im Gedächtnis, kaum spürbare Sympathie hinterließen.
Einmal noch erinnerte mich an den Namen Kononows ein Vortragender auf einer medizinischen Konferenz, der neue Oberarzt des Krankenhauses, Medizinmajor Koroljow. Er war ein Mann, der gern trank und dazu aß, Frontkämpfer. Als Oberarzt im Krankenhaus hielt er sich nicht lange – er konnte nicht nein sagen bei kleinen Bestechungen, bei einem Gläschen staatlichem Alkohol – und nach einem großen Skandal wurde er als Chef entlassen, seines Postens enthoben, dann erneut zugelassen und tauchte als Leiter der Sanitätsabteilung der Nördlichen Verwaltung wieder auf.
Nach dem Krieg ergoss sich an die Kolyma zu Dalstroj, zum schnellen Rubel ein Strom von Abenteurern und Schwindlern, die sich vor dem Gericht und dem Gefängnis versteckten.
Zum Krankenhauschef wurde ein Major Aleksejew ernannt, der den Roten Stern und die Schulterstücke eines Majors trug. Einmal kam Aleksejew zu Fuß zu mir, interessierte sich für den Abschnitt, stellte jedoch keine einzige Frage und machte sich auf den Rückweg. Die Waldsanitätsstelle war zwanzig Kilometer vom
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