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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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versuchte zu erklären, dass das unangemessen ist.
    »Ich habe ja keine Familie«, sagte Rjurikow.
    »Der frühere Chef hatte auch nur eine Frau«, sagte Maksimow. »Es werden ja Besucher kommen – die zahlreichen Chefs aus der Hauptstadt, die sich einquartieren, übernachten werden.«
    »Sie können in jenem Haus übernachten, in dem ich die erste Nacht verbracht habe. Zwei Schritt von hier. Kurz, tun Sie, wie Ihnen gesagt wurde.«
    Aber noch mehrmals im Lauf dieses Tages kam Maksimow ins Kabinett und fragte, ob Rjurikow seine Meinung nicht geändert habe. Und erst als der neue Chef böse wurde, gab er nach.
    Als erster erschien in der Sprechstunde der örtliche Bevollmächtigte Koroljow. Nach dem Bekanntmachen und einem kurzen Bericht sagte Koroljow:
    »Ich habe eine Bitte an Sie. Morgen fahre ich nach Dolgoje.«
    »Was ist das für ein Dolgoje?«
    »Das ist das Kreiszentrum – achtzig Kilometer von hier … Dorthin fährt jeden Morgen der große Bus.«
    »Nun, fahr«, sagte Rjurikow.
    »Nein, Sie haben mich nicht verstanden«, lächelte Koroljow. »Ich bitte um Erlaubnis, Ihren Dienstwagen zu nehmen …«
    »Ich habe hier einen Dienstwagen?«, sagte Rjurikow.
    »Ja.«
    »Mit Fahrer?«
    »Mit Fahrer …«
    »Und ist Smolokurow (das war der Name des früheren Chefs) mit diesem Dienstwagen irgendwohin gefahren?«
    »Er ist wenig gefahren«, sagte Koroljow. »Was wahr ist, ist wahr. Wenig.«
    »Also gut«, Rjurikow hatte schon alles verstanden und eine Entscheidung getroffen, »fahr du mit dem Bus. Den Wagen lasst vorläufig stehen. Und den Fahrer übergebt an die Garage zur Arbeit bei den Lastwagen … Ich brauche den Wagen auch nicht. Und wenn ich fahren muss, fahre ich entweder mit der ›Ersten Hilfe‹ oder mit dem Lastwagen.«
    Die Sekretärin öffnete die Tür einen Spaltbreit.
    »Der Schlosser Fedotow möchte Sie sprechen – er sagt, es ist sehr eilig …«
    Der Schlosser war verstört. Aus seinem verworrenen und hastigen Bericht verstand Rjurikow, dass in der Wohnung des Schlossers in der ersten Etage die Decke heruntergekommen ist – der Putz abgefallen, und von oben rinnt es. Eine Renovierung ist notwendig, aber die Wirtschaftsabteilung will nicht renovieren, und der Schlosser selbst hat nicht das Geld für so eine Renovierung. Und es ist auch ungerecht. Zahlen soll der, der das Herabfallen des Putzes verschuldet hat, auch wenn er Parteimitglied ist. Es rinnt ja …
    »Warte mal«, sagte Rjurikow. »Wieso rinnt es? Oben wohnen doch Leute.«
    Mit Mühe begriff Rjurikow, dass in der Wohnung oben ein Ferkel haust, Mist und Harn sammeln sich, und jetzt ist der Putz in der ersten Etage heruntergekommen, das Ferkel uriniert auf die Köpfe der unteren Bewohner.
    Rjurikow wurde wild.
    »Anna Petrowna«, rief er der Sekretärin zu, »rufen Sie mir den Parteisekretär und den Halunken, dem das Ferkel gehört.«
    Anna Petrowna zuckte die Schultern und verschwand.
    Zehn Minuten später trat Mostowoj ins Kabinett, der Parteisekretär, und setzte sich an den Tisch. Alle drei – Rjurikow, Mostowoj und der Schlosser – schwiegen. So vergingen zehn Minuten.
    »Anna Petrowna!«
    Anna Petrowna schob sich durch die Tür.
    »Und wo ist der Besitzer des Ferkels?«
    Anna Petrowna verschwand.
    »Der Besitzer des Ferkels ist hier – Genosse Mostowoj«, sagte der Schlosser.
    »Aha«, Rjurikow stand auf. »Gehen Sie erstmal nach Hause.« Und brachte den Schlosser zur Tür.
    »Was fällt Ihnen ein«, schrie er Mostowoj an. »Was fällt Ihnen ein, es in der Wohnung zu halten? …«
    »Hör auf zu schreien«, sagte Mostowoj ruhig. »Wo soll ich es halten? Auf der Straße? Wenn du dir selbst Geflügel oder ein Schweinchen anschaffst, wirst du sehen wie das ist. Wie oft habe ich gebeten – gebt mir eine Wohnung in der ersten Etage. Tun sie nicht. In allen Häusern ist es so. Bloß redet dieser Schlosser so viel. Der frühere Chef wusste ihnen den Mund zu stopfen. Aber du hörst grundlos alle möglichen an.«
    »Die gesamte Renovierung geht auf deine Kosten, Genosse Mostowoj.«
    »Nein, nein, das wird sie nicht …«
    Aber Rjurikow klingelte schon, rief den Buchhalter und diktierte eine Order.
    Die Sprechstunde war verdorben, missraten. Dem Oberstleutnant war es nicht gelungen, einen einzigen seiner Stellvertreter kennenzulernen, während er eine endlose Zahl von Malen seine Unterschrift auf die endlosen Papiere setzte, die geschickte, geübte Hände vor ihm auslegten. Jeder der Vortragenden bewaffnete sich mit einem gewaltigen

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