Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
die Tasche. Der Wagen hupte am Eingang.
Es verging eine Woche – der Kriegskommissar kam nicht. Zwei Wochen … Ein Monat … Nach drei Monaten wollte mich die Krankenschwester sprechen.
»Ach, was habe ich für einen Fehler gemacht! Ich hätte … Das ist eine Falle.«
»Was für eine Falle?«
»Ich weiß nicht was für eine, ich werde aus dem Komsomol ausgeschlossen.«
»Wofür schließt man Sie denn aus?«
»Für die Verbindung zu einem Volksfeind, dass ich das Soldbuch aus der Hand gegeben habe.«
»Aber Sie haben es doch dem Kommissar gegeben.«
»Nein, so war das nicht. Ich habe es Ihnen gegeben, und Sie, glaube ich, dem Kommissar … Und das klären sie jetzt im Komitee. Wem ich es in die Hand gegeben habe – Ihnen oder direkt dem Kommissar. Ich habe gesagt – Ihnen. Doch Ihnen?«
»Ja, mir, aber ich habe es doch in Ihrem Beisein dem Kommissar übergeben.«
»Ich weiß davon nichts. Ich weiß nur, dass ein entsetzliches Unglück geschehen ist, ich werde aus dem Komsomol ausgeschlossen und aus dem Krankenhaus entlassen.«
»Man muss in die Siedlung fahren, ins Kreiskriegskommissariat.«
»Zwei Wochen verlieren? Man hätte es von Anfang an so machen müssen.«
»Wann fahren Sie?«
»Morgen.«
Zwei Wochen später traf ich die Krankenschwester im Korridor, düster wie eine Regenwolke.
»Na, was?«
»Der Kriegskommissar ist aufs Festland gefahren, er hat schon abgerechnet. Jetzt habe ich Scherereien – ein neues Soldbuch. Ich werde dafür sorgen, dass man Sie aus dem Krankenhaus wirft, Sie ins Strafbergwerk schickt.«
»Was habe ich damit zu tun?«
»Wer denn sonst? Das ist eine hinterlistige Falle – das hat man mir im MWD erklärt.«
Ich versuchte, diese Geschichte zu vergessen. Schließlich hatte mich noch niemand beschuldigt und nicht zum Verhör vorgeladen, aber die Erinnerung an Oberst Kononow gewann ein neues Kolorit.
Plötzlich wurde ich nachts an die Wache gerufen.
»Da ist er«, rief hinter der Barriere Oberst Kononow. »Lassen Sie mich ein.«
»Kommen Sie herein. Es heißt, Sie wollen aufs Festland?«
»Ich wollte in Urlaub, aber man ließ mich nicht in Urlaub gehen. Ich habe die Abrechnung durchgesetzt und wurde entlassen. Ganz. Ich fahre. Ich bin vorbeigefahren, um mich zu verabschieden.«
»Nur sich zu verabschieden?«
»Nein. Als ich meine Dinge übergab, fand ich in einer Ecke meines Schreibtischs ein Soldbuch – ich konnte mich einfach nicht erinnern, woher ich es hatte. Wenn es auf deinen Namen gewesen wäre, hätte ich mich erinnert. Und am Linken Ufer war ich seitdem nicht mehr. Hier ist alles fertig. Stempel, Unterschrift, nimm und gib es dieser Dame.«
»Nein«, sagte ich. »Geben Sie es ihr selbst.«
»Wie das? Es ist Nacht.«
»Ich rufe sie von zu Hause mit einem Kurier hierher. Und übergeben müssen Sie es persönlich, Oberst Kononow.«
»Wie du willst.«
Die Krankenschwester kam angebraust, und Kononow händigte ihr das Dokument aus.
»Schon zu spät, alle Erklärungen habe ich schon abgegeben, man hat mich aus dem Komsomol ausgeschlossen. Warten Sie, schreiben Sie ein paar Worte auf dem Formular.«
»Ich bitte um Verzeihung.«
Und er verschwand im Frostnebel.
»Na, Glückwunsch. Im Jahr siebenunddreißig – hätte man Sie erschossen für solche Stückchen«, sagte die Schwester erbittert.
»Ja«, sagte ich, »und Sie auch.«
1970-1971
Riva-Rocci
Der Tod Stalins brachte keine neuen Hoffnungen in die verhärteten Herzen der Häftlinge, trieb die auf Verschleiß arbeitenden Motoren nicht an, die es müde waren, das dick gewordene Blut durch die verengten, harten Gefäße zu stoßen.
Aber über alle Radiowellen der Rundfunksendungen, reflektiert im vielfachen Echo der Berge, des Schnees und des Himmels, kroch in alle Unterpritschenecken und -winkel der Häftlingsvita ein Wort, ein wichtiges Wort, das versprach, all unsere Probleme zu lösen: entweder die Gerechten zu Sündern zu erklären oder die Übeltäter zu bestrafen, oder es ist eine Methode gefunden, schmerzfrei alle ausgeschlagenen Zähne wieder einzusetzen.
Es entstanden und verbreiteten sich die klassischen Gerüchte – Gerede von einer Amnestie.
Jubiläum eines beliebigen Staates vom Jahrestag bis zur Dreihundertjahrfeier, Krönungen der Thronfolger, ein Macht- und selbst Kabinettwechsel – all das tritt in die unterirdische Welt aus den höheren Regionen in Gestalt einer Amnestie. Das ist die klassische Form des Verkehrs von Oben und Unten.
Die traditionelle Latrinenparole, an
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