Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
entweder mein Handeln, oder sie entlässt mich. Sie können einen Bericht über mich schreiben, aber ich bitte Sie, sich in meine rein medizinischen Dinge nicht einzumischen.«
Damit war das Gespräch mit Tkatschuk beendet. Nowikow blieb in der Baracke, und Tkatschuk bestellte die Kommission aus der Verwaltung. In der Kommission waren nur zwei Ärzte, beide mit Riva-Rocci-Apparaten – einer mit einem einheimischen, demselben wie meiner, und der andere mit einem japanischen, mit einem runden Trophäen-Manometer. Aber an das Manometer konnte man sich leicht gewöhnen.
Sie prüften Nowikows Blutdruck, die Zahlen stimmten mit meinen überein. Sie schrieben Nowikow invalide, und Nowikow erwartete in der Baracke eine Invalidenetappe oder einen durchfahrenden Begleitposten zur Abreise nach Magadan.
Mir aber dankten meine medizinischen Chefs nicht einmal.
Mein Kampf mit Tkatschuk blieb den Häftlingen in der Baracke nicht verborgen.
Die Vernichtung von Läusen, die ich mit einer Methode erreichte, die ich im Zentralkrankenhaus gelernt hatte, das Durchhitzen in Benzintanks, ist ein Ertrag des Zweiten Weltkriegs. Die Läusevernichtung im Lager, ihre Handlichkeit, die Desinfektion, Zuverlässigkeit und Schnelligkeit – die Entlausung nach meinem System versöhnte Tkatschuk mit mir.
Nowikow langweilte sich und wartete auf die Etappe.
»Ich kann ja etwas Leichtes machen«, sagte Nowikow irgendwann in meiner Abendsprechstunde. »Wenn Sie darum bitten.«
»Ich werde nicht darum bitten«, sagte ich. Nowikows Frage war zu meiner persönlichen Frage geworden, einer Frage meines Prestiges als Feldscher.
Die neuen stürmischen Ereignisse fegten das Drama des Hypertonikers und die Wunder der Entlausung beiseite.
Es kam die Amnestie, die als Berija-Amnestie in die Geschichte einging. Ihr Text wurde in Magadan gedruckt und in alle abgelegenen Winkel der Kolyma verschickt, damit die edle Lagermenschheit spüre, sich freue und zu schätzen wisse, sich verneige und danke. Der Amnestie unterlagen alle Häftlinge, wo auch immer sie waren, und alle Rechte wurden ihnen wieder zuerkannt.
Befreit wurde der gesamte Artikel achtundfünfzig – alle Punkte, Teile und Paragraphen – mit einer Haftdauer bis zu fünf Jahren.
Nach Artikel achtundfünfzig gab man fünf Jahre nur im Morgendämmer der Jugend des Jahres siebenunddreißig. Diese Leute waren entweder gestorben oder freigelassen oder hatten eine zusätzliche Haftzeit erhalten.
Die Haftzeiten, die Garanin den Ganoven gegeben hatte – sie standen vor Gericht wegen Sabotage, nach achtundfünfzig, Punkt vierzehn –, wurden aufgehoben und die Ganoven freigelassen. Eine ganze Reihe von Sozialartikeln erhielt eine Verkürzung, das heißt, die Verkürzung erhielten die nach Artikel hundertzweiundneunzig Verurteilten.
Diese Amnestie betraf nicht die Häftlinge nach Artikel achtundfünfzig, die zum zweiten Mal verurteilt waren, sie betraf nur kriminelle Rückfalltäter. Das war eine typische Stalinsche »Volte«.
Kein einziger Mensch, der früher nach Artikel achtundfünfzig verurteilt worden war, konnte das Gebiet des Lagers verlassen. Es sei denn, man gebrauchte das Wort »Mensch« in der Terminologie der Ganoven. In der Gaunersprache bedeutet Mensch – Ganove,
urka
, Mitglied der Verbrecherwelt.
Das war der wichtigste Schluss aus der Berija-Amnestie. Berija übernahm Stalins Stafette.
Entlassen wurden nur die Ganoven, die Garanin so sehr verfolgt hatte.
Alle Kriminellen wurden nach der Berija-Amnestie »komplett« mit Zuerkennung aller Rechte freigelassen. In ihnen sah die Regierung wahre Freunde, eine solide Stütze.
Unerwartet war der Schlag nicht für die Häftlinge nach Artikel achtundfünfzig. Sie waren an solche Überraschungen gewöhnt.
Unerwartet war der Schlag für die Administration Magadans, die völlig anderes erwartet hatte. Extrem unerwartet war der Schlag für die Ganoven selbst, deren Himmel plötzlich wolkenlos war. Durch Magadan und durch alle Siedlungen an der Kolyma wanderten Mörder, Diebe, Gewalttäter, die unter allen Umständen vier oder wenigstens drei Mal am Tag essen mussten – und wenn nicht kräftige Kohlsuppe mit Hammelfleisch, dann doch mindestens Perlgraupen.
Darum war das Vernünftigste, was ein praktisch begabter Chef tun konnte, das Einfachste und das Vernünftigste – rasch den Transport für die Weiterbewegung dieser mächtigen Welle aufs Festland, auf das Große Land vorzubereiten. An Wegen gab es zwei: über Magadan und auf dem Seeweg
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