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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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egal.
    Im Schnee kam die Katze wieder zu sich und kroch aus der Schneewehe auf den vereisten, im Mondlicht glänzenden Weg. Ich lief vorbei und nahm die Katze mit ins Krankenhaus, ins Häftlingskrankenhaus. Wir durften keine Katzen im Krankensaal halten – obwohl es eine Unmenge Ratten gab, und kein Strichnin, kein Arsen konnte helfen, ganz zu schweigen von Rattenfallen und Fangeisen. Arsen und Strichnin wurden hinter Schloss und Riegel gehalten und waren nicht für die Ratten bestimmt. Ich beschwor den Feldscher der neuropsychiatrischen Abteilung, diese Katze zu den Irren zu nehmen. Dort lebte die Katze auf und kam zu Kräften. Der abgefrorene Schwanz fiel ab, es blieb ein Stumpf, eine Pfote war gebrochen, die Rippen gebrochen. Aber das Herz war heil, und die Knochen wuchsen wieder zusammen. Nach zwei Monaten kämpfte die Katze schon mit den Ratten und machte die neuropsychiatrische Abteilung des Krankenhauses rattenfrei.
    Zum Beschützer der Katze wurde Ljonetschka, ein Simulant, den zu entlarven man schon zu faul war, eine Null, die den ganzen Krieg über hatte untertauchen können wegen einer unverständlichen Laune des Doktors, eines Beschützers der Ganoven, den jeder Gewohnheitsverbrecher erbeben ließ, erbeben nicht vor Angst, sondern vor Begeisterung, vor Achtung, vor Andacht. »Ein großer Dieb«, sagte der angesehene Doktor von seinen Patienten, offensichtlichen Simulanten. Nicht, dass der Arzt ein »kommerzielles« Ziel gehabt hätte – Schmiergelder, Abgaben. Nein. Der Doktor hatte einfach nicht die Energie, Gutes zu bewirken, und darum befehligten ihn die Diebe. Die wirklichen Kranken aber verstanden es nicht, ins Krankenhaus zu kommen, verstanden es nicht einmal, dem Doktor unter die Augen zu kommen. Außerdem – wo ist die Grenze zwischen wirklicher und vermeintlicher Krankheit, besonders im Lager. Ein Simulant, ein Aggravant und ein wirklich leidender Kranker unterscheiden sich wenig voneinander. Ein wirklich Kranker muss Simulant sein, um in ein Krankenhausbett zu kommen.
    Aber der Katze rettete diese Laune der Irren das Leben. Bald begann die Katze zu stromern, bekam Junge. Das Leben ist das Leben.
    Aber dann kamen Ganoven in die Abteilung, töteten die Katze und zwei ihrer Jungen und kochten sie im Kochgeschirr, und meinem Freund, dem diensthabenden Feldscher, gaben sie einen Napf Fleischsuppe – für sein Schweigen und zum Zeichen der Freundschaft. Der Feldscher rettete für mich ein Katzenjunges, das dritte Katzenjunge, so ein graues, von dem ich nicht weiß, wie es heißt: Ich hatte Angst, ihm einen Namen zu geben, es zu taufen, um kein Unglück heraufzubeschwören.
    Ich fuhr damals los auf mein Tajgagrundstück und trug im Hemd das Kätzchen, die Tochter der namenlosen Krüppel-Katze, die die Ganoven gegessen hatten. In meinem Ambulatorium fütterte ich die Katze, machte ihr eine Spule, ein Spielzeug, und stellte ihr eine Dose mit Wasser hin. Das Unglück war, dass meine Arbeit im Herumfahren bestand.
    Die Katze für mehrere Tage im Ambulatorium einschließen konnte ich nicht. Ich musste die Katze jemandem geben, dessen Tätigkeit im Lager es erlaubte, jemand anderen zu füttern, Mensch oder Tier – ganz gleich. Der Vorarbeiter? Der Vorarbeiter verabscheute Tiere. Die Begleitposten? Im Gebäude der Wache wurden nur Hunde gehalten, Schäferhunde, und das Kätzchen zu ewigen Qualen, zu tagtäglicher Verhöhnung, Hetze und Fußtritten zu verurteilen …
    Ich gab das Kätzchen dem Lagerkoch Wolodja Bujanow. Wolodja war Essensverteiler in dem Krankenhaus gewesen, in dem ich früher gearbeitet hatte. In der Suppe der Kranken, im Kessel, im Trog hatte Wolodja eine Maus entdeckt, eine gekochte Maus. Wolodja schlug Krach, obwohl der Krach nicht groß war und unbegründet, denn kein einziger Kranker hätte eine weitere Schüssel dieser Suppe mit der Maus verweigert. Die Geschichte endete damit, dass Wolodja beschuldigt wurde, er habe mit Absicht … und so weiter. Die Küchenleiterin war eine Freie, eine Vertragsarbeiterin, und Wolodja wurde entlassen und in den Wald geschickt zum Holzeinschlag. Eben dort arbeitete ich als Feldscher. Die Rache der Küchenleiterin ereilte Wolodja auch im Wald. Die Stelle als Koch ist eine geneidete Stelle. Wolodja wurde denunziert, Freiwillige überwachten ihn Tag und Nacht. Jeder weiß, dass er diese Stelle nicht bekommen wird, und trotzdem zeigt er an, überwacht, entlarvt. Schließlich wurde Wolodja entlassen, und er brachte mir das Kätzchen zurück.
    Ich gab

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