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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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die Überzüge gemacht waren und wie die Bomben aussahen, behalte ich für mich – »Die Bomben wurden von mir gebracht, aber wann und woher, und ebenso worin – behalte ich für mich.« Was lässt einen Menschen größer wachsen? Die Zeit. Die Jahrhundertwende war die Blüte des Jahrhunderts, als die russische Literatur, Philosophie und Wissenschaft und die Moral der russischen Gesellschaft sich in ungekannte Höhen erhoben. Alles, was das große 19. Jahrhundert an ethisch Wichtigem, Starken angesammelt hatte – alles wurde in die lebendige Tat, in lebendiges Leben, in lebendiges Beispiel verwandelt und in den letzten Kampf gegen die Selbstherrschaft geworfen. Opferbereitschaft, Selbstverleugnung bis zur Anonymität – wie viele Terroristen sind umgekommen, und niemand hat ihre Namen erfahren. Die Opferbereitschaft des Jahrhunderts, das in der Verbindung von Wort und Tat die höchste Freiheit, die höchste Kraft fand. Sie begannen mit »töte nicht«, mit »Gott ist Liebe«, mit Vegetariertum, mit dem Dienst am Nächsten. Die moralischen Forderungen und die Selbstlosigkeit waren so groß, dass die Besten der Besten, enttäuscht vom Nichtwiderstehen, vom »töte nicht« zu den »Akten« übergingen, zu den Revolvern, zu den Bomben, zum Dynamit griffen. Für die Enttäuschung von den Bomben hatten sie keine Zeit – alle Terroristen starben jung.
    Natalja Klimowa stammte aus Rjasan. Nadeshda Terentjewa wurde in Belorezk Sawod im Ural geboren. Michail Sokolow stammte aus Saratow.
    Die Terroristen waren in der Provinz geboren. In Petersburg starben sie. Das hat eine Logik. Die klassische Literatur, die Poesie des neunzehnten Jahrhunderts mit ihren moralischen Forderungen hatte sich am tiefsten in der Provinz verwurzelt und führte eben dort zur Notwendigkeit einer Antwort auf die Frage »Worin besteht der Sinn des Lebens«.
    Nach dem Sinn des Lebens suchte man leidenschaftlich und selbstlos. Klimowa fand den Sinn des Lebens, indem sie sich rüstete, die Heldentat Perowskajas zu wiederholen und zu übertreffen. Es zeigte sich, dass Klimowa die seelischen Kräfte besaß, dass sie ihre Kindheit nicht umsonst in einer in höchstem Maße bemerkenswerten Familie verbracht hatte – die Mutter von Natalja Sergejewna war die erste russische Ärztin.
    Es brauchte nur eine persönliche Begegnung, ein persönliches Beispiel, dass alle seelischen, geistigen und physischen Kräfte in höchste Anspannung versetzt würden und die reiche Natur der Natalja Klimowa Anlass gab, sie sofort in die Reihe der hervorragendsten Frauen Russlands zu stellen.
    Ein solcher Anstoß, eine solche persönliche Bekanntschaft war die Begegnung Natascha Klimowas mit Michail Sokolow – dem »Bären«.
    Diese Bekanntschaft führte Natalja Klimowa auf die höchsten Höhen des russischen revolutionären Heroismus, eine Prüfung durch Selbstentsagung, Selbstaufopferung.
    Die »Tat«, die vom Maximalisten Sokolow inspiriert war, war der Kampf gegen die Selbstherrschaft. Der geborene Organisator, war Sokolow auch ein bedeutender Parteitheoretiker. Der Agrarterror und der Fabrikterror – das sind die Beiträge des »Bären« zum Programm der »Oppositionen« der Sozialrevolutionäre.
    Oberkommandierender der Kämpfe an der Presnja während des Dezemberaufstands – ihm hat es die Presnja zu verdanken, dass sie sich so lange hielt – harmonierte Sokolow nicht mit der Partei und trat nach dem Moskauer Aufstand aus und schuf seine eigene »Kampforganisation der Sozialrevolutionäre-Maximalisten«.
    Natalja Klimowa war seine Gehilfin und Frau.
    Frau?
    Die keusche Welt des revolutionären Untergrunds gibt eine besondere Antwort auf diese einfache Frage.
    »Sie lebten mit dem Pass der Wera Schaposchnikowa und ihres Ehemanns Semjon Schaposchnikow.«
    »Ich wünsche hinzuzufügen: dass Semjon Schaposchnikow und Michail Sokolow dieselbe Person waren, wusste ich nicht.«
    Mit dem Pass? Und auf der Morskaja Straße lebte Natalja Klimowa mit dem Pass der Jelena Morosowa und ihres Mannes Michail Morosow – eben dessen, der in Stolypins Empfangszimmer von der eigenen Bombe gesprengt wurde.
    Die Untergrundwelt der gefälschten Pässe und nichtgefälschten Gefühle. Man fand, dass alles Persönliche zu unterdrücken und dem großen Ziel des Kampfes unterzuordnen sei, für den Leben und Tod – ein und dasselbe sind.
    Hier eine Abschrift aus dem Polizeilehrbuch der »Geschichte der Partei der Revolutionären Sozialisten«, verfasst von Gendarmeriegeneral Spiridowitsch

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