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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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    »Am 1. Dezember wurde auf der Straße Sokolow selbst ergriffen und nach dem Gerichtsurteil am 2. des Monats hingerichtet.
    Am 3. des Monats wurde die konspirative Wohnung Klimowas gefunden, wo unter verschiedenen Dingen anderthalb Pud Dymamit, 7 600 Rubel in Banknoten und sieben Siegel verschiedener Regierungsstellen entdeckt wurden. Auch Klimowa selbst und weitere prominente Maximalisten wurden verhaftet.«
    Warum hielt sich Klimowa ganze drei Monate nach der Sprengung auf der Apothekerinsel in Petersburg auf? Man wartete auf den »Bären« – die Maximalisten hatten einen Kongress in Finnland, und erst Ende November kehrten der »Bär« und andere Maximalisten nach Russland zurück.
    Während ihrer kurzen Untersuchung erfuhr Natascha vom Tod Sokolows. Nichts Unerwartetes war an dieser Hinrichtung, an diesem Tod, und doch – Natascha lebt, und der »Bär« nicht mehr. Im »Brief vor der Hinrichtung« wird vom Tod naher Freunde ruhig gesprochen. Aber Natascha vergaß Sokolow niemals.
    In den Kasematten der Petersburger DPS schrieb Natalja Klimowa den berühmten »Brief vor der Hinrichtung«, der um die Welt ging.
    Das ist ein philosophischer Brief, geschrieben von einem zwanzigjährigen Mädchen. Das ist kein Abschied vom Leben, sondern ein Lob der Lebensfreude.
    Im Ton der Einheit mit der Natur gehalten – ein Motiv, dem Klimowa ihr Leben lang treu blieb –, ist dieser Brief ungewöhnlich. In seiner Frische des Gefühls, in seiner Aufrichtigkeit. Im Brief gibt es auch nicht einen Schimmer von Fanatismus oder Didaktik. Dieser Brief handelt von der höchsten Freiheit, vom Glück der Vereinigung von Wort und Tat. Dieser Brief ist keine Frage, sondern eine Antwort. Der Brief wurde abgedruckt in der Zeitschrift »Bildung« , neben einem Roman von Marcel Prévost .
    Ich las diesen Brief, der beschnitten ist durch eine Reihe von Zensur»herauswürfen«, bedeutsamen Auslassungen. Fünfzig Jahre später wurde der Brief in New York wieder abgedruckt – die Streichungen waren dieselben, die Ungenauigkeiten, die Schreibfehler ebenfalls. In dieser, der New Yorker Kopie hatte die Zensur der Zeit ihre eigenen Kürzungen gemacht: Der Text war verblasst und verwischt, aber die Worte hatten ihre Kraft behalten, ihren hohen Sinn nicht verändert. Der Brief Klimowas erschütterte Russland.
    Auch heute noch, 1966, so sehr die Verbindung der Zeiten auch gerissen ist, findet der Name Klimowa sofort Widerhall in den Herzen und im Gedächtnis der russischen Intelligenz.
    »Ach, Klimowa! Das ist der Brief vor der Hinrichtung … Ja. Ja. Ja.«
    Nicht nur das Gefängnisgitter, nicht nur der Galgen, nicht nur das Echo der Detonation ist in diesem Brief. Nein. In Klimowas Brief war etwas für den Menschen besonders Bedeutsames, etwas besonders Wichtiges.
    Der Philosoph Frank widmete Klimowas Brief in der großen hauptstädtischen Zeitung »Das Wort« den riesigen Artikel »Die Überwindung der Tragödie«.
    Frank sieht in diesem Brief das Phänomen eines neuen religiösen Bewusstseins und schreibt, dass »diese sechs Seiten in ihrem moralischen Wert schwerer wiegen als die gesamte vielbändige zeitgenössische Philosophie und Poesie des Tragischen«.
    Erschüttert von der Tiefe der Gedanken und Gefühle Klimowas – und sie war erst 21 Jahre alt –, vergleicht Frank ihren Brief mit Oscar Wildes »De profundis« . Das ist ein Brief als Befreiung, ein Brief als Ausweg, ein Brief als Antwort.
    Aber warum sind wir nicht in Petersburg? Weil das Attentat auf Stolypin wie auch der »Brief vor der Hinrichtung«, wie sich zeigte, nicht genug waren für dieses Leben, das groß und bedeutend war und vor allem – das sich in seiner Zeit verwirklichte.
    Der »Brief vor der Hinrichtung« wurde im Herbst 1908 gedruckt. Die Licht-, Schall- und Magnetwellen, die dieser Brief hervorrief, gingen um die ganze Welt, und auch nach einem Jahr hatten sie sich nicht beruhigt, nicht gelegt, als sich plötzlich eine neue erstaunliche Nachricht bis in alle Winkel des Erdballs verbreitete. Aus dem Moskauer Nowinskij-Frauengefängnis waren dreizehn
katorga
-Häftlinge geflohen, gemeinsam mit der Gefängnisaufseherin Tarassowa.
    Hier ist sie, die »Liste der Personen, die in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1909 aus dem Moskauer Gouvernements-Frauengefängnis flohen«.
    »Nr. 6. Klimowa Natalja Sergejewna, verurteilt vom Petersburger Militär-Bezirksgericht am 29. Januar 1907 zur Todesstrafe durch Erhängen, doch die Hinrichtung wurde vom Stellvertr. Kom.

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