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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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prophezeiten Nöte in ausreichendem Maße erlebt, doch ihr Enthusiasmus war keinesfalls schwächer geworden von den durchlaufenen Prüfungen, und ihr Wille hatte sich sogar gestählt und gefestigt. Was die Hingabe an die Revolution und die Bereitschaft zu jedem Opfer betrifft, konnte man zwischen diesen Frauen ohne weiteres ein Gleichheitszeichen setzen: Sie waren gleich stark und gleich wertvoll. Doch man brauchte sie nur ein paar Tage lang aufmerksam zu betrachten, und man überzeugte sich davon, wie unterschiedlich und in einigen Hinsichten diametral entgegengesetzt sie waren. Vor allem springt der Kontrast in ihrem Gesundheitszustand ins Auge. Klimowa, die sich nach dem
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-Gefängnis erholt hatte, war eine blühende, gesunde, starke Frau; Prokofjewa hatte Tuberkulose, und der Prozess war so weit fortgeschritten und zeigte sich so deutlich in ihrer physischen Gestalt, dass man unwillkürlich an eine sich verzehrende Kerze dachte.
    Ebenso unterschiedlich war ihr Geschmack, ihr Verhältnis zum Leben um sie herum, ihre gesamte innere Verfassung.
    Prokofjewa war in einer Altgläubigenfamilie aufgewachsen, in der sektiererische, asketische Gepflogenheiten und Stimmungen von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Die Schule, und dann die Begeisterung für die Befreiungsbewegung hatten die religiösen Ansichten vollkommen aus ihrer Weltanschauung verfliegen lassen, doch in ihrem Charakter blieb eine kaum merkliche Spur von Verachtung oder von Herablassung gegenüber allen Freuden des Seins, die Spur eines unbestimmten Strebens zum Höheren, nach Loslösung von der Erde und den irdischen Dingen. Vielleicht wurde diese Nuance in ihrem Charakter zum Teil gestützt und betont von ihrem Leiden. Das vollkommene Gegenteil war Klimowa. Sie nahm jegliche Freuden des Seins an, weil sie das Leben im Ganzen annahm, mit all seinen Kümmernissen und Freuden, die organisch miteinander verbunden, voneinander untrennbar sind. Es war keine philosophische Anschauung, sondern das unmittelbare Empfinden einer reichen, starken Natur. Sowohl Heldentaten wie Opfer betrachtete sie als die größten, die willkommensten Freuden des Seins.
    Sie kam freudig und lachend zu uns und brachte eine deutliche Belebung in unsere Gruppe. Es war, als müssten wir nicht weiter warten. Warum nicht zur Tat schreiten mit den vorhandenen Kräften? Aber Sawinkow wies darauf hin, dass über der Gruppe wieder ein Fragezeichen stand. Er erzählte, dass in meiner Abwesenheit Kirjuchin mit der Gruppe gelebt hatte, der aus Russland kam und schon innerhalb kurzer Zeit in Sawinkow Zweifel weckte.
    ›Er lügt viel‹, erklärte Sawinkow. ›Ich musste ihm einmal eine ganze Strafpredigt über die Notwendigkeit halten, strenger mit dem eigenen Gerede umzugehen. Vielleicht ist das einfach eine Schludrigkeit der Sprache. Jetzt ist er wieder in Russland, er hat eine Tochter bekommen. Dieser Tage muss er zurückkommen. Wir sollten ihn uns näher ansehen.‹
    Bald nach meiner Ankunft auf Guernsey erschien ein weiterer schwarzer Punkt an unserem Horizont. ›Ma‹ (M.A. Prokofjewa) schmolz merklich dahin und wurde mit jedem Tag schwächer. Natürlich kamen Befürchtungen auf, die sich verzehrende Kerze könnte bald erlöschen. Alle spürten, wie teuer und unentbehrlich ihr stilles, reines Licht in unserem düsteren Untergrund ist, und alle waren in Aufregung. Der örtliche Arzt riet, die Kranke in einem Lungensanatorium unterzubringen, am besten in Davos. Es kostete Sawinkow einige Energie, um M.A. Prokofjewa zu überzeugen, nach Davos zu fahren. Nach langem Kampf trafen sie eine Abmachung, offenbar auf folgender Grundlage: Sawinkow wird sie informieren, wenn die Gruppe bereit sein wird zur Abreise nach Russland, und sie behält das Recht, je nach ihrem Befinden, die Frage selbst zu entscheiden, ob sie die Kur fortsetzen oder das Sanatorium verlassen und sich der Gruppe anschließen will.
    Zu jener Zeit erhielt Sawinkow die Nachricht, dass der ihm bekannte Kämpfer F.A. Nasarow die
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beendet und zur Ansiedlung gegangen war. Nasarow hatte den Provokateur Tatarow getötet, er war in irgendeiner anderen Sache verurteilt zur einer kurzen
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-Haft. Zeitgleich mit der Abreise von M.A. nach Davos schickte Sawinkow aus Paris nach Sibirien einen jungen Mann zu Nasarow, um ihm anzubieten, in die Gruppe einzutreten. Letzterer hatte während der Bildung der Gruppe seine Kandidatur erklärt, doch die Aufnahme war ihm verweigert worden. Jetzt war ihm versprochen, im

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