Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
ihnen die Mittel zu kürzen, die Zuwendungen zu streichen. Schon gab es auch Anwärter für das Theater »Le Chat noire«. Der theoretische Teil der »Blaue Blusen«-Manifeste wurde immer schwächer und schwächer.
Jushanin hatte sein Theater nicht in die Weltrevolution geführt, es war ihm nicht gelungen. Und gegen Mitte der zwanziger Jahre war auch diese ganze Perspektive verblasst.
Die Liebe zu den Blaue Blusen-Ideen! Das erwies sich als zu wenig. Liebe – das ist Verantwortung, das sind Diskussionen in der Sektion von Mossowjet , das sind Memoranden – ein Sturm im Wasserglas, Gespräche mit den Schauspielern, die ihren Arbeitslohn verloren. Die prinzipielle Frage – wer sind nun die »Blauen Blusen« – Profis oder Laienkunst?
Der Ideologe und Leiter der »Blauen Blusen« zerschlug alle diese Fragen mit einem einzigen Streich.
Boris Jushanin floh ins Ausland.
Ein Kind, das er war, floh er ungeschickt. Sein gesamtes Geld hatte er irgendeinem Matrosen in Batumi ausgehändigt, und der Matrose brachte ihn in die OGPU. Jushanin saß lange im Gefängnis.
Die Moskauer Untersuchung gab dem Helden der neuen Theaterform das Kürzel »V.Sp.«. Verdacht auf Spionage und drei Jahre Haft im Konzentrationslager.
»Was ich im Ausland gesehen habe – war so anders als das, was unsere Zeitungen schrieben. Ich wollte keine lebende Zeitung mehr sein. Ich wollte das wirkliche Leben.«
Ich freundete mich mit Jushanin an. Ich konnte ihm ein paar kleine Gefälligkeiten erweisen, wie Wäsche oder das Badehaus, aber bald wurde er in die Verwaltung gerufen, nach Wishaicha, wo das Zentrum des USLON war – um in seinem Beruf zu arbeiten.
Der Ideologe und Gründer der Blaue Blusen-Bewegung wurde zum Leiter der »Blauen Blusen« in den Konzentrationslagern an der Wischera, einer lebenden Häftlingszeitung. Ein eindrucksvolles Ende!
Für diese »Blauen Blusen« im Lager schrieb auch ich in Zusammenarbeit mit Boris Jushanin einige Sketche, Oratorien und Couplets.
Jushanin wurde Redakteur der Zeitschrift »Die neue Wischera«. In der Lenin-Bibliothek kann man Exemplare dieser Zeitschift finden.
Der Name Jushanin ist für die Nachwelt bewahrt. Die große Erfindung Gutenbergs, selbst wenn die Druckmaschine abgelöst ist durch den Abziehapparat.
Eines der Prinzipien der »Blauen Blusen« ist die Nutzung jedes beliebigen Textes, jedes beliebigen Sujets.
Wenn es nützlich ist, können Wort wie Musik von beliebigen Autoren stammen. Hier gibt es keinen literarischen Diebstahl. Hier ist das Plagiat – prinzipiell.
Im Jahr einunddreißig wurde Jushanin nach Moskau gebracht. Revision seines Verfahrens? Wer weiß?
Einige Jahre lebte Jushanin in Aleksandrow – also wurde sein Verfahren nicht allzu sehr revidiert.
Im Jahr siebenundfünfzig erfuhr ich zufällig, dass Jushanin lebt – das Moskau der zwanziger Jahre musste ihn kennen und sich an ihn erinnern.
Ich schrieb ihm einen Brief, schlug ihm vor, vor den Moskauern vom Ende der fünfziger Jahre von den »Blauen Blusen« zu erzählen. Dieser Vorschlag stieß auf scharfen Protest beim Chefredakteur der Zeitschrift – er hatte von den »Blauen Blusen« noch niemals gehört. Ich hatte keine Möglichkeit, den eigenen Vorschlag zu bekräftigen, und schimpfte mit mir wegen meiner Überstürzung. Und dann wurde ich krank, und Jushanins Brief aus dem Jahr siebenundfünfzig liegt noch immer in meinem Schreibtisch.
<1967>
Der Besuch des Mister Popp
Mister Popp war Vizedirektor der amerkanischen Firma »Nitrogen«, die Gasbehälter für den ersten Bauabschnitt von Beresnikchimstroj lieferte.
Der Auftrag war groß, die Arbeit lief gut, und der Vizedirektor hielt es für notwendig, bei der Übergabe der Arbeiten persönlich anwesend zu sein.
In Beresniki bauten unterschiedliche Firmen. Die »kapitalistische Internationale«, wie M. Granowskij sagte, der Chef des Baubetriebs. Die Deutschen – »Hanomag«-Kessel. Dampfmaschinen der englischen Firma »Brown Boveri«, Kessel von »Babcock-Wilcox«, amerikanische Gasbehälter.
Es hakte bei den Deutschen – später wurde all das zur Sabotage erklärt. Es hakte bei den Engländern im Kraftwerk. Später wurde das ebenfalls zur Sabotage erklärt.
Ich arbeitete damals im Kraftwerk, im Heizkraftwerk, und erinnere mich gut an die Anreise des Chefingenieurs der Firma »Babcock-Wilcox«, Mister Holmes. Das war ein sehr junger Mann, etwa dreißig Jahre. Am Bahnhof wurde Holmes vom Chef des Chimstroj Granowskij empfangen, aber Holmes fuhr nicht ins
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