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Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche

Titel: Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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Massengräbern menschliche Knochen findet.
    Das Experiment in Beresniki führte Bersin durch. Nicht Bersin persönlich natürlich. Bersin war immer ein treuer Vollstrecker fremder Ideen, ob blutiger oder unblutiger, ganz gleich. Aber Direktor von Wischchims – auch ein Bauprojekt des ersten Fünfjahrplans – war Bersin. Sein Stellvertreter für das Lager war Filippow – und das Lager an der Wischera, zu dem sowohl Beresniki als auch Solikamsk mit seinen Kalium-Minen gehörte, war riesig. Allein in Beresniki waren drei- bis viertausend Mann, auf der Baustelle von Beresnikchimstroj. Die Arbeiter des ersten Fünfjahrplans.
    Hier, und eben hier, entschied sich die Frage von Sein oder Nichtsein der Lager – nach einer Überprüfung am Rubel, am Verdienst. Nach dem Experiment an der Wischera – einem, nach Meinung der Leitung, gelungenen Experiment – erfassten die Lager die gesamte Sowjetunion, und es gab kein Gebiet ohne Lager, kein Bauprojekt, in dem nicht Häftlinge arbeiteten. Eben nach der Wischera erreichte die Zahl der Häftlinge im Land 12 Millionen. Eben die Wischera bezeichnete den Beginn des neuen Wegs der Haftanstalten. Die Besserungsanstalten wurden an den NKWD übergeben, und der machte sich an die von Dichtern, Dramatikern und Filmregisseuren besungene Arbeit.
    Und all das entging Paustowskij, der beschäftigt war mit seinem »Kara-Bugas«.
    Ende einunddreißig wohnte mit mir im Zimmer des Gasthauses der junge Ingenieur Lewin. Er arbeitete bei Beresnikchimstroj als Übersetzer aus dem Deutschen und war einem der ausländischen Ingenieure zugeordnet. Als ich Lewin fragte – warum er, der ausgebildete Chemie-Ingenieur, als einfacher Übersetzer für dreihundert Rubel im Monat arbeitet, sagte er: »Natürlich, aber so ist es besser. Keinerlei Verantwortung. Da wird die Inbetriebnahme zum zehnten Mal verschoben, und hundert Mann werden eingesperrt – und ich? Ich bin Übersetzer. Dabei arbeite ich wenig, habe freie Zeit soviel ich will. Und ich verbringe sie nutzbringend.« Lewin lächelte.
    Ich lächelte auch.
    »Sie haben nicht verstanden?«
    »Nein.«
    »Haben Sie nicht gemerkt, dass ich erst gegen Morgen zurückkomme?«
    »Nein, das habe ich nicht gemerkt.«
    »Sie sind ein schlechter Beobachter. Ich mache eine Arbeit, die mir ein ausreichendes Einkommen bringt.«
    »Und was ist das?«
    »Ich spiele Karten.«
    »Karten?«
    »Ja. Poker.«
    »Mit den Ausländern?«
    »Warum denn mit den Ausländern. Bei den Ausländern kann ich mir, außer einem Untersuchungsverfahren, nichts holen.«
    »Mit unseren Leuten?«
    »Natürlich. Hier gibt es Junggesellen in rauen Mengen. Und hohe Einsätze. Und das Geld habe ich – ich verdanke alles meinem Vater: er hat mir das Pokerspielen gut beigebracht. Wollen Sie es nicht auch probieren? Ich bringe es Ihnen im Nu bei.«
    »Nein, ich danke Ihnen.«
    Nur durch Zufall habe ich Lewin in die Erzählung über Mister Popp hineingenommen, zu dem ich einfach nicht komme.
    Bei der Firma »Nitrogen« lief die Montage hervorragend, der Auftrag war groß, und der Vizedirektor kam selbst nach Russland. M. Granowskij, der Chef von Beresnikchimstroj, wurde rechtzeitig und tausendfach von der Ankunft Mister Popps informiert. Entsprechend seiner Einschätzung, dass er, M. Granowskij, als altes Parteimitglied und Chef des Baubetriebs des größten Projekts des ersten Fünfjahrplans vom diplomatischen Protokoll her höher stand als der Besitzer der amerikanischen Firma, beschloss er, Mister Popp nicht persönlich an der Station Ussolje (später hieß diese Station dann Beresniki) zu empfangen. Das wäre unsolide. Sondern ihn im Kontor zu empfangen, in seinem Zimmer.
    M. Granowskij wusste, dass der amerikanische Gast in einem Sonderzug anreist – mit eigener Lok und Wagen –, von der Ankunftszeit des Zuges an der Station Ussolje wusste der Chef des Baubetriebs schon drei Tage im Voraus durch ein Telegramm aus Moskau.
    Das Ritual des Empfangs wurde beizeiten entwickelt – man schickt dem Gast den persönlichen Wagen des Chefs des Baubetriebs, und der Fahrer fährt den Gast ins Hotel für Ausländer, in dem der Kommandant des Hotels, der Genosse und Entwicklungskader Zyplakow, schon drei Tage lang für den ausländischen Gast das beste Zimmer im Hotel für Ausländer hütete. Nach Toilette und Frühstück ist Mister Popp ins Kontor zu bringen, wonach der geschäftliche Teil des Treffens, bis auf die Minute vorausgeplant, stattfinden soll.
    Der Sonderzug mit dem ausländischen Gast

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