Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
sollte um 9 Uhr morgens eintreffen, und schon vom Abend an wurde der persönliche Fahrer Granowskijs mehrfach gerufen, instruiert und schmutzig beschimpft.
»Vielleicht, Genosse Natschalnik, fahre ich den Wagen schon am Abend zur Station. Und übernachte auch dort«, schlug der Fahrer besorgt vor.
»Auf keinen Fall. Wir müssen zeigen, dass bei uns alles auf die Minute genau geschieht. Der Zug pfeift, drosselt das Tempo, und du fährst an der Station vor. Nur so.«
»In Ordnung, Genosse Natschalnik.«
Ermüdet von den vielfachen Proben – der Wagen war zehn Mal unbeladen zur Station gefahren, der Fahrer hatte die Geschwindigkeit berechnet, die Zeit berechnet – schlief der Fahrer M. Granowskijs in der Nacht vor der Anreise Mister Popps ein, und er träumte von einer Gerichtsverhandlung – oder träumte man im Jahr einunddreißig noch nicht von einer Gerichtsverhandlung?
Der Diensthabende der Garage – mit ihm hatte der Chef des Baubetriebs keinerlei vertrauliche Unterredungen gehabt – weckte den Fahrer nach einem Anruf von der Station, und der Fahrer ließ schnell den Motor an und raste los, um Mister Popp zu empfangen.
Granowskij war ein beschäftigter Mann. Er war an diesem Tag gegen 6 Uhr in sein Kabinett gekommen und hatte zwei Besprechungen und drei »Standpauken« hinter sich. Auf den geringsten Lärm von unten schob er die Vorhänge zurück und schaute durchs Fenster auf die Straße. Der ausländische Gast war nicht da.
Um halb zehn kam ein Anruf vom Diensthabenden der Station, man verlangte den Chef des Baubetriebs. Granowskij nahm den Hörer ab und hörte eine tonlose Stimme mit starkem ausländischem Akzent. Die Stimme drückte ihr Erstaunen aus, dass man Mister Popp so schlecht empfange. Kein Wagen. Mister Popp bitte, einen Wagen zu schicken.
Granowskij wurde fuchsteufelswild. Jede zweite Stufe nehmend und schwer atmend, erschien er in der Garage.
»Ihr Fahrer ist um halb acht losgefahren, Genosse Natschalnik.«
»Wie, um halb acht?«
Aber ein Wagen brummte. Mit einem kleinen betrunkenen Lächeln trat der Fahrer über die Schwelle der Garage.
»Was machst du, zum Teufel nochmal.«
Aber der Fahrer erklärte. Um halb acht kam der Moskauer Personenzug. Mit diesem Zug kehrte der Chef der Finanzabteilung des Bauprojekts Grosowskij mit seiner Familie aus dem Urlaub zurück und rief Granowskijs Wagen, wie er es früher immer getan hatte. Der Fahrer versuchte die Sache mit Mister Popp zu erläutern. Aber Grosowskij erklärte das alles als Fehler – er weiß von nichts – und befahl dem Fahrer, sofort zur Station zu fahren. Der Fahrer fuhr. Er dachte, dass das mit dem Ausländer abgesagt war, und überhaupt, Grosowskij, Granowskij, auf wen soll er hören – er weiß nicht, wo ihm der Kopf steht. Und dann fuhren sie die vier Kilometer in die neue Siedlung Tschurtan, wo Grosowskijs neue Wohnung war, der Fahrer half, das Gepäck zu tragen, dann bewirteten die Hausleute zur Begrüßung …
»Wer hier wichtiger ist auf der Welt, Grosowskij oder Granowskij, darüber unterhalten wir uns später. Und jetzt mach, dass du an die Station kommst.«
Der Fahrer flog zur Station – es war noch nicht zehn. Mister Popps Laune war ziemlich schlecht.
Ohne Rücksicht auf den Weg raste der Fahrer mit Mister Popp ins Hotel für Ausländer. Mister Popp bezog sein Zimmer, wusch sich, zog sich um und beruhigte sich.
Jetzt regte Zyplakow sich auf, der Kommandant des Hotels für Ausländer – so hieß er damals, nicht Direktor, nicht Leiter, sondern Kommandant. Ob eine solche Stelle billiger kommt als zum Beispiel ein »Direktor einer Mineralwasserbude« – weiß ich nicht, aber diese Position hieß genau so.
Der Sekretär von Mister Popp erschien auf der Schwelle des Hotelzimmers.
»Mister Popp bittet um das Frühstück.«
Der Kommandant des Hotels nahm am Buffet zwei große Stücke Konfekt ohne Papier, zwei Butterbrote mit Pflaumenmus, zwei mit Wurst, platzierte all das auf einem Tablett und trug es, noch mit zwei Gläsern Tee, sehr dünnem Tee, Mister Popp ins Zimmer.
Sofort brachte der Sekretär das Tablett zurück und stellte es auf ein Tischchen an der Tür des Hotelzimmers.
»Mister Popp wird dieses Frühstück nicht essen.«
Zyplakow stürzte zum Bericht in die Leitung des Baubetriebs. Aber Granowskij wusste schon alles, man hatte es ihm telefonisch mitgeteilt.
»Was denn, du alte Kanaille«, brüllte Granowskij. »Du machst nicht mir Schande, du machst dem Staat Schande. Gib die Stelle ab! An die
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