Erzaehlungen aus Kolyma 04 - Die Auferweckung der Lärche
eingesammelt. Sie spielten um fremde Sachen, um die Klamotten der »
frajer
«. Schmutzige bloße Füße mit langen Nägeln und ein klägliches, irgendwie zutrauliches Lächeln im Gesicht, in den großen bräunlichen, mir gut bekannten Augen. Das war Boris Jushanin, der berühmte Leiter der berühmten »Blauen Blusen«, deren fünfjähriges Bestehen im Bolschoj Theater gefeiert wurde, und nicht weit von mir hatte Jushanin gesessen, umgeben von den Stützen der Blaue Blusen-Bewegung: Tretjakow , Majakowskij, Foregger , Jutkewitsch , Tenin , Kirssanow – die Autoren und Mitarbeiter der Zeitschrift »Die Blaue Bluse« – lauschten dem Ideologen und Führer der Bewegung Boris Jushanin ergeben und fingen jedes seiner Worte auf.
Und zu lauschen gab es genug: Jushanin redete ununterbrochen, versuchte zu überzeugen und mitzureißen.
Heute sind die »Blauen Blusen« vergessen. Anfang der zwanziger Jahre setzte man viele Hoffnungen auf sie. Nicht nur eine neue Form des Theaters, der Welt gebracht von der Oktoberrevolution, die überging in die Weltrevolution.
Die Blauen Blusen fanden selbst Meyerhold nicht links genug, und sie boten eine neue Form nicht nur der Theateraktion – die »lebende Zeitung«, wie Jushanin seine »Blauen Blusen« nannte –, sondern auch eine Lebensphilosophie.
Die »Blauen Blusen« waren, nach der Idee des Führers der Bewegung, eine Art Orden. Die Ästhetik, in den Dienst der Revolution gestellt, führte auch zu ethischen Siegen.
In den ersten Nummern des neuen literarischen Sammelwerks, der Zeitschrift »Die Blauen Blusen« (in fünf, sechs Jahren erschienen sehr viele), zeichneten die Autoren, wie berühmt sie auch waren (Majakowskij, Tretjakow, Jutkewitsch), ihre Beiträge nicht.
Der einzige Namenszug: Redakteur Boris Jushanin. Die Honorare gingen in den Fonds der »Blauen Blusen« – zur weiteren Entwicklung der Bewegung. Die »Blauen Blusen« sollten, nach der Idee Jushanins, nicht professionell sein. Jede Institution, jede Fabrik, jedes Werk sollten eigene Kollektive haben. Laienkollektive.
Die Blaue Blusen-Texte erforderten einfache bekannte Melodien. Stimmen waren gar nicht gefordert. Aber wenn sich eine Stimme, ein Talent fand – umso besser. Die Blauen Blusen wurden zum »Vorzeige«-kollektiv befördert. Dieses bestand aus Profis – auf Zeit, so Jushanins Idee.
Jushanin wandte sich öffentlich gegen die alte Theaterkunst. Er wandte sich scharf gegen das Künstler- und das Kleine Theater , gegen das schiere Prinzip ihrer Arbeit.
Den Theatern fiel es lange schwer, sich der neuen Macht anzupassen. Jushanin ergriff das Wort in deren Namen, versprach eine neue Kunst.
In dieser neuen Kunst wurde der wichtigste Platz dem Theater des Intellekts zugewiesen, einem Theater der Losung, einem politischen Theater.
Die »Blauen Blusen« wandten sich scharf gegen das Theater der Emotionen. Alles, was man »Brecht-Theater« nannte, wurde von Jushanin entdeckt und vorgeführt. Nur war Jushanin, der auf empirischem Weg eine ganze Reihe von neuen künstlerischen Prinzipien fand, nicht in der Lage, diese zu verallgemeinern, zu entwickeln und vor ein internationales Forum zu bringen. Das tat Brecht – ihm sei Ehre und Ruhm!
Die ersten »Blauen Blusen« betraten eine Klubbühne, eine Komsomol-Bühne im Jahr 1921. Fünf Jahre später gab es in Russland vierhundert Kollektive. Als Hauptsitz mit Vorstellungen rund um die Uhr erhielten die »Blauen Blusen« das Kino »Le Chat noir« auf dem Strastnaja Platz, eben das, das im Sommer 1967 abgerissen wurde.
Die schwarze Flagge der Anarchisten hing noch auf einem Nachbarhaus – auf dem Klub der Anarchisten auf der Twerskaja , wo noch kürzlich Mamont-Dalskij , Iuda Grossman-Roschtschin, Dmitrij Furmanow und andere Apostel des Anarchismus aufgetreten waren. Der begabte Journalist Jaroslaw Gamsa beteiligte sich an der Polemik über Wege und Schicksal des neuen sowjetischen Theaters, der neuen Theaterformen.
Zentrale Kollektive gab es acht: das »Vorzeige«-, das »Muster«-, das »Best«-, das »Haupt«-Kollektiv, so hießen sie. Jushanin wahrte die Gleichheit.
1923 trat als separates das Theater Foregger den »Blauen Blusen« bei.
Und bei all dieser Entfaltung, bei diesem Wachsen in die Breite und die Tiefe – fehlte den »Blauen Blusen« etwas.
Der Beitritt des Theaters Foregger war der letzte Sieg der »Blauen Blusen«.
Plötzlich zeigte sich, dass die »Blauen Blusen« nichts zu sagen haben, dass die Theater»linke« mehr dem Theater
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