Es bleibt natürlich unter uns
Gespött preisgeben! Gewisse Kreise, die ich hier nicht nennen will, sind in letzter Stunde an mich herangetreten, um die Enthüllung dieser Brunnenfigur zu verhindern. Der Grund, den diese Herren anführten, erschien mir so an den Haaren herbeigezogen, daß ich es ablehnte, mich darüber in eine Diskussion einzulassen. Auch die Stadträte, die ich noch gestern zu mir rief, waren der Meinung, daß es sich bei diesen Einwänden gegen die Brunnenfigur um eine übertriebene Schamhaftigkeit und Sittenstrenge handle, und daß die Betreffenden es wohl in kurzer Zeit einsehen würden, hier als Wächter der Moral weit über das Ziel hinausgeschossen zu sein...“
In eine Atempause des Bürgermeisters hinein wurde eine laute Stimme aus dem Hintergrund vernehmbar: „Was gibt’s denn überhaupt? Was ist denn geschehen?“
In der ersten Reihe drehte sich Zahnarzt Namlos, dessen Bub das Gedicht vom Lehrer Zacherl so schön aufgesagt hatte, um, und antwortete so laut, daß es für niemand mehr einen Zweifel geben konnte: „Mei’, dem gußeisernen Pupperl hat jemand ‘s Piperl abg’sägt!“
„Jawohl!!“ dröhnte Bürgermeister Hilz, froh darüber, daß ihm das entscheidende Wort abgenommen wurde, „aber ich werde mir das nicht bieten lassen! Und ich werde nicht eher Ruhe geben, als bis die Schuldigen an diesem Frevel entdeckt und zur Verantwortung gezogen werden! — Und das Brunnenbuberl wird wieder verhüllt und es bleibt verhüllt, bis das Gericht sein Urteil gesprochen und die Schuldigen zum Ersatz der geschändeten Figur verurteilt hat!“
Während er vom Podium herabstieg, wurde dünner Beifall laut. Zwei Stadträte entfernten sich offenbar demonstrativ, drei andere zögernd. Der Bundestagsabgeordnete Huber schob sich den grünen Hut mit dem mächtigen Gamsbart in die Stirn und kratzte sich den Hinterkopf; er schien den Augenblick zu verfluchen, an dem er sich entschlossen hatte, diese Einweihung durch seine Anwesenheit zu beehren. Bürgermeister Hilz bückte sich nach der am Boden liegenden Segeltuchhülle, und sein Freund, der Steinmetz Vinzenz Anderl, war der einzige, der ihm half, den Brunnen wieder zu bedecken. Drüben am Haus drehte Herr Beilmeier den Hahn wieder zu, und der Wasserstrahl, der so blitzend und fröhlich in die Brunnenschale geplätschert war, versiegte jäh.
„Reg dich bloß nicht auf, Sepp!“ sagte der Anderl besänftigend, denn es war kaum ein Jahr her, daß ein kleiner Schlaganfall den Bürgermeister für ein paar Wochen umgeworfen hatte; „aus Stein wann das Buberl wär’, das wär schlimmer. Aber der ist aus Bronze, — dem läßt halt einen neuen anlöten.“
„Und ich mein, Herr Bürgermeister, i fahr...“sagte der Bundestagsabgeordnete Huber, der seinen Wahlerfolg neben den Bauern
verbänden nicht zuletzt der Geistlichkeit zu Verdanken hatte; „nehmen Sie’s mir net übel, aber es ist schon eine saublöde G’schicht. — Und vielleicht wär es doch besser gewesen, wenn Sie nix g’sagt hätten. Aber nun ist es einmal geschehen...“
„Ich bin ein gutkatholischer Mann, Herr Bundestagsabgeordneter Huber“, knurrte der alte Hilz, „aber was hier geschehen ist, das hat mit Frömmigkeit nichts zu tun! Das ist Frömmelei und Heuchelei, und an dieser Geschichte wird sich der Herr Stadtpfarrer die Finger bös verbrennen, das sag ich Ihnen!“
Der Bundestagsabgeordnete hob beschwörend die Hände: „Sie werden doch nicht im Ernst behaupten wollen, daß Hochwürden hier selber mit der Feile in der Hand nächtlicherweile hergeschlichen ist! Seien Sie vorsichtig, Herr Bürgermeister! Das dürfen Sie behaupten, wenn Sie den gerichtsnotarischen Beweis antreten können. Aber nicht eher. Nicht eher! — Servus, Herr Bürgermeister, pfüet Eahna God, und was Sie gesagt haben, habe ich nicht gehört!“ — Er gab dem alten Hilz lau die Hand und machte sich eiligst zu seinem Wagen davon. Die Schulkinder zogen einigermaßen verwirrt und von verwirrten Lehrern und verlegenen Lehrerinnen zur Eile angetrieben, klassenweise ab. Die Zuschauer zerstreuten sich oder bildeten lebhaft diskutierende Gruppen, und der pensionierte Postbote Feichtner, der ein bißchen schwerhörig war und es nicht richtig mitbekommen hatte, lupfte die Hülle auf und schaute sich das Brunnenbübchen ganz genau an.
Am Rande des Schulhofes und am Rande der Ereignisse, sozusagen als Zaungäste, die eben einmal im Vorbeigehen in die Feier hineingeschmeckt hatten, kicherten die beiden Dienstmädel vom Dr. Schwarz und
Weitere Kostenlose Bücher