Es bleibt natürlich unter uns
Verletzungen entdeckten. Es sieht fast nach einem Überfall aus. Die Brieftasche fehlt nämlich. — Ein dicker Hund, wie? Was sagen Sie dazu?“
Lothar Lockner sagte zunächst nichts. Er ging zum Telefon und wählte die Nummer der Stadtpolizei, fragte, ob es in der Sache Knell etwas Neues gäbe, lauschte eine Weile und legte schließlich auf: „Die Brieftasche des Herrn Knell ist inzwischen gefunden worden, mit mehr als zweihundert Mark Inhalt. Also fällt der Raubüberfall unter den Tisch...“
„Wenn es eine Rauferei war“, meinte der junge Kerschbaumer, „dann haben sie es dem Knell Franzi aber tüchtig besorgt. Vielleicht war es ein Racheakt...? Vielleicht hat der alte Schlawiner irgendeinem Burschen von Heiligblut oder Dingharting mal kurz das Madl ausgespannt, wie?“
Lothar Lockner warf einen anzüglichen Blick auf das blitzende Armband, das elegant auf den Handrücken des jungen Mannes fiel.
„Sie befinden sich in einem Zustand, Wastl“, knurrte er, „in dem Sie hinter jeder geschwollenen Backe die Folgen einer Liebesgeschichte wittern. — Schreiben Sie, was Sie von der Geschichte wissen, kein Wort mehr und kein Wort weniger, und geben Sie den Riemen in den Satz herunter.“
„Okeh, Chef...!“ sagte der junge Mann grinsend und verschwand in seinem taubenschlagähnlichen Volontärzimmerchen.
*
Die Knells übten seit Generationen in Aldenberg das Malerhandwerk aus. Und seit Generationen erfreute sich die Familie eines großen Kindersegens. Merkwürdigerweise blieben nur die Töchter und jeweils ein einziger Sohn von den vielen, die die Knellfrauen ihren Männern gebaren, am Leben. Auch Herr Franz Knell war der Letzte seines Stammes gewesen. Und auch wenn die Männer am Leben blieben, starben sie alle in jungen Jahren. In den alten Kirchenbüchern hieß es zumindest: im fünfunddreißigsten Jahr seines Lebens an der Auszehrung verstorben. Älter als vierzig war in den voraufgegangenen Generationen keiner von den Knells geworden. Bis dann der alte Sanitätsrat Pfeill die Ursache für ihren frühen Tod entdeckte, nachdem ihm zwei von den Buben des Knell Franzi unter den Händen weggestorben waren. Und seitdem blühte die Familie so wuchernd, daß an ein Aussterben des Namens nicht mehr zu denken war. Und die Ursache dieses frühen Dahinscheidens? Nun, die Knellsöhne hatten, wenn ihre Väter von der Arbeit heimkamen, die mitgebrachten Farbreste zusammengekratzt und sie in Ermangelung von Pinseln mit den Fingern an den Hauswänden der Nachbarschaft verschmiert; hinterher aber, anstatt Wasser und Bürste zu benutzen, die Finger abgeleckt, und so waren sie denn — Generationen hindurch den frühen Tod als unabwendbares Familienschicksal hinnehmend — samt und sonders an Bleivergiftung draufgegangen. Seitdem Herr Franz Knell seinen Söhnen den Hintern verdrosch, wenn er sie an den Farbtöpfen entdeckte, war der tödliche Bann gebrochen. So gründlich gebrochen, daß Herr Knell, wenn sich die Schar von sechs Buben und vier Mädeln am Mittagstisch versammelte, manchmal denken mochte, die alten Zeiten ohne die Erkenntnisse der modernen Medizin hätten doch eigentlich auch etwas für sich gehabt...
Jene alten Ärzte aber, die dem Sterben der Knell-Kinder hilflos Zusehen mußten, hatten den wenigen Überlebenden, wenn schon sonst gegen den Tod kein Kraut gewachsen war, wenigstens stärkende Mittel verordnet. Was aber gab es wohl auf der Welt, was mehr stärkte als das gute, gsüffige, gschmackige bayerische Bier? Sie hatten sich alle fest an den Maßkrug gehalten, die Knells. Mit einem Wort, sie soffen, daß es in Aldenberg für einen Mann, der dem Bier besonders zugetan war, nur einen Maßstab gab: der hat den Durscht vom Knell. Und der Knell Franzi machte von dieser Familientradition, obwohl die Berufsgefährdung längst erkannt und überwunden war, keine Ausnahme.
Seine Mutter war eine ehrbare und gottesfürchtige Frau, die den Mann und vierzehn Kinder früh unter die Erde gebracht und ihren Franzi unter harten Entbehrungen aufgezogen hatte, bis er das von einem Altgesellen geführte Geschäft übernehmen konnte. Sie hatte sich schon früh darum bemüht, den Buben vom Maßkrug fernzuhalten. Erkundigungen in anderen, richtigen Säuferfamilien hatten kein erfolgversprechendes Resultat gehabt. Die Mittel, die ihr dort empfohlen wurden, um ihrem Franzi das Saufen abzugewöhnen, waren denn doch zu unappetitlich. Da Frau Emerentia Knell aber selber aus einer Brauerfamilie stammte, in der die Männer
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