Es bleibt natürlich unter uns
Jo Klapfenberg von diesen Anzapfungen natürlich nichts erzählt. Es war dieses ihr letzter gemeinsamer Spaziergang, wenigstens für lange Zeit. Vielleicht für immer. Denn morgen früh wollte Jo Aldenberg verlassen, vorläufig für ein halbes Jahr. In der Stadt wußte man, daß sie die Absicht hatte, ihre englischen Sprachkenntnisse ein Vierteljahr lang bei englischen Verwandten in Sheffield und später ihr Schulfranzösisch in Paris aufzupolieren. Tatsächlich hatte sie die Absicht, für ein paar Wochen nach England zu gehen, wo eine Schwester ihrer Mutter seit fast dreißig Jahren mit einem Maschineningenieur namens Shelton in kinderloser Ehe verheiratet war. Jo hatte ihrer Tante Johanna Shelton nicht verschwiegen, weshalb sie gezwungen sei, Aldenberg für einige Zeit zu verlassen, und sie hatte von ihrer Tante eine herzliche Einladung bekommen, am besten das ganze halbe Jahr oder noch länger in Sheffield zu bleiben. Ja, Tante Johanna hatte durchblicken lassen, daß ihr Mann und sie selber schon gewisse Pläne spännen, das ,kleine Ereignis’ zu adoptieren. Jos Eltern hatten nach der Lektüre dieses Briefes Gesichter gemacht, als entdeckten sie nach wochenlanger Irrfahrt auf einem Balkenfloß, vom Durst gequält und von Haifischen geängstigt, den Palmenstrand einer rettenden Insel. Großmutter aber hatte einen Zischlaut ausgestoßen, das Gebiß am Gaumen festgedrückt und kategorisch erklärt, sie werde es nie zulassen, daß der Junge ein Engländer würde.
„Nicht, daß ich etwas gegen die Engländer habe! Es sind fast Menschen wie wir. Aber der Fraß! In seinem ganzen Leben kriegt der Bub keinen anständigen Schweinebraten mit Semmelknödel und Gurkensalat vorgesetzt!“
Heimlich hoffte die Familie, und zumal Johannas Bruder Ernst, dem die Geschichte wegen seiner bevorstehenden Heirat mit der Augsburgerin sehr peinlich war, die alte Dame doch noch umzustimmen. Wenn Schweinebraten mit Knödeln und Gurkensalat alles war, was sie gegen den Vorschlag aus England aufzuführen hatte, damit hofften sie fertig zu werden.
Lothar Lockner hörte sich die Geschichte erheitert an.
„Und was sagst du dazu?“ fragte er schließlich.
Jo balancierte auf der Grasnarbe, die sich zwischen den Räderfurchen des Feldweges dahinzog. Der Nussenbauer hatte den Vormittag über auf diesem Wege frischen Mist gefahren, und Lothar Lockner mußte achtgeben, um nicht in die schwarzen, Flocken zu treten, die sich vom Fuder gelöst hatten. Jo ließ sich mit der Antwort Zeit, sie ließ ihn so lange warten, daß er sie ein wenig überrascht von der Seite ansah. Sie spürte seinen Blick.
„Großmutters Gründe sind natürlich blödsinnig“, sagte sie hastig, „sie meint ja auch etwas ganz anderes... aber...“
„Bitte“, sagte er und wischte die Sohle an einem Grasbüschel ab, weil er einen Augenblick lang unaufmerksam gewesen war, „sprich dich ruhig aus. Du sagtest: aber...“
„Ich weiß genau, was du denkst!“ rief sie gequält, „du hältst mich für ein Biest, weil ich mit der Antwort zögere. Weil ich mit dem Gedanken spiele, man könnte sich den Vorschlag von Tante Johanna Shelton einmal durch den Kopf gehen lassen...“
„Durchaus nicht...“, murmelte er schwach; „es ist ein Vorschlag, der zum mindesten deinem Vater und deinem Bruder sehr reizvoll erscheinen muß...“
„Aber mir nicht, nicht wahr? Mir nicht?!“
„Nein, dir nicht!“ antwortete er höflich; „es ist ja schließlich dein Kind...“
„Und wo soll ich es lassen?“ fragte sie wild, „soll ich es nach Aldenberg mitbringen? Oder glaubst du, daß es in einem Kinderheim besser aufgehoben wäre als bei meiner Tante, wo es wie ein eigenes gehalten würde?!“
„Regen Sie sich ab, Fräulein Klapfenberg!“ sagte er gelassen. Er nahm plötzlich mit einem ziemlich harten Griff ihren Arm und drehte sie zu sich herum: „Du weißt natürlich selber ganz genau, daß du das Kind nicht weggeben wirst! Du weißt genau, daß du es in Deutschland unterbringen und daß du dich darum kümmern wirst. Und du bist nur unsicher, weil sie dir daheim mit diesem von deiner Tante vielleicht gut gemeinten, aber ganz verfluchten Plan in den Ohren liegen. Ja oder nein?“
„Natürlich — ja!“ schrie sie ihn an.
„Na also!“ sagte er befriedigt, „dann sind wir uns ja mal wieder vollkommen einig.“
„Ich werde es ihnen daheim schon besorgen!“ rief sie grimmig entschlossen.
„Das wirst du nicht tun“, empfahl er ihr; „ich finde, ihr redet überhaupt
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