Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es bleibt natürlich unter uns

Es bleibt natürlich unter uns

Titel: Es bleibt natürlich unter uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
zu viel über die Familienschande. Ich kann es mir lebhaft vorstellen, es muß ein richtig gemütliches Familienleben sein. Bis auf deine Großmutter. Die alte Dame scheint Haare auf den Zähnen zu haben.“
    „Die hat sie!“ gab sie zu, „aber was soll ich nun tun?“
    „Gar nichts! Laß sie reden, und fahr du nach England, wie es verabredet ist, und tu später genau das, was du zu tun immer vorgehabt hast. Es gibt da um den Starnberger- oder Ammersee ein paar winzige Nester, in denen du leben kannst wie auf dem Mond..
    „Komisch...“, murmelte sie.
    „Was ist dabei komisch?“
    „Daß Großmutter genau den gleichen Gedanken gehabt hat.“
    „Schau einmal an!“ meinte er respektvoll, „die alte Dame kennt sich in der Welt aus.“
    „Kennst du Fischen am Ammersee?“
    „Fischen... Fischen...? Warte einmal — das sieht man von der Straße nach Weilheim aus. Da liegt oben, wo die Straße ins Tal abfällt, ein Gasthof mit einer hübschen Terrasse, — und wenn man dort sitzt, dann sieht man einen Zipfel vom Ammersee... und ein winziges Nest mit einem spitzen Kirchturm... ich glaube, das ist Fischen...“
    „Ja, — und dort gibt es zwischen Fischen und Aldenried eine kleine Privatklinik... Großmutter hat sich genau erkundigt...“
    „Die alte Dame ist wirklich in Ordnung!“ stellte er fest. „Also, wenn es soweit ist, auf nach Aldenried! Und alles weitere wird sich schon finden. Ich bin nicht für Fünfjahrespläne. Ich finde, es langt, wenn man über den nächsten Ersten hinüberkommt.“
    Sie verließen den groben Weg und gingen über die sauren Uferwiesen zum See. Die Sonne warf schon lange Schatten in das moorbraune Wasser, aber ein Stück des Uferstreifens lag noch im Licht, und das Gras war für eine kurze Rast noch warm genug Ein Liebespaar hätte das buschbestandene gegenüberliegende Ufer bevorzugt, auch auf die Gefahr hin, sich drüben einen Schnupfen zu holen. Lothar Lockner breitete seinen Mantel aus und ließ sich darauf nieder, er streckte Jo die Hände entgegen und legte, als sie neben ihm saß, den Kopf in ihren Schoß.
    „Ich sehe von dir nur das Kinn, und die Nasenlöcher, und die Augenbögen“, murmelte er, „aber es ist trotz der verrückten Perspektive ein sehr hübsches Bild...“
    „Manchmal habe ich das Gefühl, man sieht es mir schon an...“
    „Nein, ganz gewiß nicht! Du bist noch genau so, wie ich dich von unserer ersten Begegnung her in Erinnerung habe. — Merkwürdig, so wie jetzt habe ich dich schon einmal gesehen. Es war beim Pflanz. An meinem ersten Aldenberger Abend. Du hattest ein dunkles Dirndl an und holtest einen Krug Bier. Ich kam zu dir an die Theke. Aber ich getraute mich nicht, dir ins Gesicht zu sehen. Und deshalb suchte ich dein Spiegelbild in dem blanken Nickelblech, über das du dich herüberbeugtest, um zu sehen, ob der Pflanz den Krug auch richtig füllte...“
    „Ja, ich besinne mich noch ganz genau darauf. Der Pflanz schaute mir recht unverschämt in den Ausschnitt...“
    „Ja, ich hätte ihm am liebsten eine reingehauen…“
    Ein Entengeschwader klingelte über den See und zerriß seinen glatten Spiegel. Die Bäume schwankten darin wie im Sturm, und das dunkle Wasser warf rötliche Lichtreflexe über ihre Gesichter.
    „Das ist nun unser letzter Tag...“
    „Für so lange Monate! Ich werde dich sehr vermissen...“
    „Mein Gott, und ich dich erst!“ Sie beugte sich über sein Gesicht und hob seinen Kopf empor. Er richtete sich halb auf und drückte sie sanft auf den Mantel nieder.
    „So ist es für dich nicht so anstrengend...*
    „Du wirst mir schreiben...“, stammelte sie.
    „Natürlich, auf jeden Brief, den ich von dir bekomme, werde ich dir antworten... Aber sag, müssen deine Küsse immer so salzig schmecken?“
    „Ach, ich bin ja so unglücklich...!“ schluchzte sie.
    „Ich fürchte, ich werde mich in den nächsten Tagen öfters ein bißchen besaufen“, sagte er gepreßt; „aber ob das viel nützen wird? Ach, es ist schon eine verfahrene und ganz gottverdammte Geschichte mit uns beiden...“

    *

    Der erste Brief von Jo, vom 12. Oktober datiert, kam noch aus Aldenberg. Lothar Lockner runzelte die Brauen, als er ihn las, denn es war ihm zu viel von dem Dank darin die Rede, den sie ihm für seine Freundschaft und Hilfsbereitschaft schulde. Das Datum des nächsten Tages trugen gleich vier Briefe. Der erste war in Frankfurt aufgegeben worden, der zweite an der belgischen Grenze, der dritte in Ostende, und der vierte — an Bord

Weitere Kostenlose Bücher