Es bleibt natürlich unter uns
hörte das feine Klingeln der zusammenstoßenden Kelche und die herzlichen Glückwünsche zum Erfolg und schüttelte nacheinander die Hände der kleinen Gesellschaft, vom Chef angefangen, der einen mächtigen Druck hineinlegte: „Und in der Mappe, lieber Freund, die unser Fräulein Klühspieß da so feierlich aufgebahrt hat, liegt Ihr Vertrag. Auf zehn Jahre und auch weiterhin unkündbar, wenn Sie mir nicht die Treue aufsagen. Aber da werde ich wohl schon längst unter der Erde liegen...“
Als die kleine Feier um drei Uhr beendet wurde, schlief der Alte in seinem Sessel, Fräulein Klühspieß hatte rote Bäckchen, der junge Kerschbaumer stieß bereits leicht mit der Zunge an, und auch Lothar Lockner spürte Flügel an den Schultern. Aber es war Drucktag, und dazu die anstrengende Zeit vor dem Weihnachtsfest. Die einzelnen Nummern, durch Inserate angeschwollen, umfaßten an den Wochentagen oft sechzehn und an den Samstagen sogar zweiunddreißig Seiten. Die Setzerei war mit Aufträgen überhäuft, und Lothar Lockner hatte alle Hände voll zu tun, da der Chef sich um den Zeitungsbetrieb fast überhaupt nicht mehr kümmerte. Er hatte mit seiner Druckerei genug Sorgen, denn die Aufträge waren mit dem vorhandenen Maschinenmaterial kaum noch zu bewältigen. Aber die Aufstellung neuer Pressen bedeutete ein unlösbares Problem, da das Gebäude keine Erweiterung zuließ. Zwar hatte der Alte den Ankauf eines Hauses in der Nachbarschaft erwogen, aber was sollte er sich in seinen Jahren noch mit neuen Sorgen belasten? Das wäre die Aufgabe eines jüngeren Mannes gewesen.
Auf seinem Schreibtisch fand Lothar Lockner einen Brief von Jo vor. Es war der letzte, den sie ihm aus Sheffield schrieb.
„Wenn Du diese Zeilen liest, bin ich entweder noch unterwegs oder vielleicht gerade in Aldenried im ,Haus Sonnenschein’ eingetroffen. Ich würde meinen kleinen Finger darum geben. Dich zu sehen und mit Dir sprechen zu dürfen. Aber Du darfst nicht kommen! Das mußt Du mir versprechen, hörst Du?! — Denn ich bin kein erfreulicher Anblick mehr — falls ich überhaupt jemals einer war, auch wenn Du das manchmal behauptet hast. Zwar geht es mir gut, und ich habe auch nicht jene Beschwerden, von denen man immer hört. Aber ich bin ziemlich rund geworden trotz des teuren Korsetts, das Tante Johanna mir in Sheffield auf Maß anfertigen ließ. Und ich habe zu dem gelben Fleck am Kinn noch einen vor dem linken Ohr dazubekommen. An der Hand trage ich zwei Ringe. Und wahrscheinlich sehe ich auch sonst so traurig aus, daß die Leute, die mich sehen, mir nicht nur die junge Witwenschaft glauben, sondern auch, daß ich meinem teuren Verblichenen sozusagen noch posthum ein Baby schenke. Aber telefonieren könntest du einmal, damit ich wenigstens Deine Stimme höre. Doch nicht von Aldenberg aus, wo man das Gespräch abhören könnte. Ich traue nicht einmal den Aldenberger Postbeamten trotz Diensteid und Schweigepflicht...“
Er hörte aus dem Nebenraum, in dem Fräulein Klühspieß ihr Maschinengeklapper abgebrochen hatte, eine scharfe, befehlsgewohnte Stimme, und schob Johannas Brief in Erwartung eines Besuchers unter ein Manuskript.
„Einen Augenblick, gnädige Frau, ich melde Sie Herrn Lockner sofort!“ — Fräulein Klühspieß war merkwürdig diensteifrig.
„Aber fix, liebes Kind, ich habe nicht viel Zeit!“
Wer konnte das schon sein, der Fräulein Klühspieß, die die Vierziger doch bereits überschritten hatte, mit ,liebes Kind’ anzusprechen sich erlaubte? Und da steckte Fräulein Klühspieß auch bereits den Kopf zur Tür herein.
„Frau Klapfenberg...!“ sagte sie bedeutungsvoll.
Johannas Mutter...! Was hatte sie bei ihm zu tun?
„Ich lasse bitten!“ rief er höflich und laut genug, daß auch Frau Klapfenberg seine Bereitschaft erkennen mochte, sie nicht eine Sekunde warten zu lassen. Er hörte ein seltsames tappendes Geräusch, erhob sich und stand nicht Johannas Mutter, sondern der sagenhaften Großmutter gegenüber, von der er zwar viel gehört hatte, der er aber zum erstenmal von Angesicht zu Angesicht gegenübertrat.
„Seht!“ Der Zischlaut scheuchte Fräulein Klühspieß aus dem Zimmer und befahl ihr, die Tür von außen zu schließen, und Fräulein Klühspieß kam dem Befehl wie ein geölter Blitz nach. Die alte Dame stützte sich für einen Augenblick mit beiden Händen auf ihren Stock und musterte Lothar Lockner ungeniert von oben bis unten.
„Mein Name ist Lockner, gnädige Frau“, sagte er
Weitere Kostenlose Bücher