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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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weinen und schwarze Kleider tragen, als sei ein Teil von mir gestorben. Aber er muß weg!«
    Natürlich blieb der Papagei.
    Auch Matilda hatte zuerst darauf gedrängt, den Vogel dem Zarewitsch zurückzuschicken. Mit Boris Davidowitsch hatte sie vor ihm gesessen und sich angehört, was er von sich gab. Ich heiße Niki … Ich warte auf dich … Und ihr Herz hatte gezuckt – ganz anders, als wenn Boris sie in die Arme nahm und sie küßte. Ein völlig unbekanntes Gefühl war es, das sie durchrann, wenn sie an den Zarewitsch dachte, an seine melancholischen Augen, seine weichen Züge, seine glatte Hand und seine wohllautende Stimme. Ich warte auf dich …
    Das war wie eine immerwährende Botschaft, wie eine Mahnung, wie ein Versprechen. Ein gedankliches Hiersein.
    »Ich lasse den Vogel zurückbringen«, hatte Matilda am zweiten Abend, nachdem der Papagei ins Haus gekommen war, zu Boris gesagt. Sie saßen im Kaminzimmer auf einem Sofa, aneinandergelehnt, nur beschienen von dem flackernden Schein des Holzfeuers, und der Käfig mit dem Papagei stand vor ihnen auf einem Tisch mit Marmorplatte.
    Der Vogel saß still, mit vorgestrecktem Hals auf seiner Stange und beobachtete sie mit seinen runden, glitzernden grünen Augen.
    »Ich will nicht mehr hören, was er sagt. Ich liebe nur dich, Boris …«
    »Du kannst ein Geschenk des Thronfolgers nicht zurückschicken«, sagte Soerenberg.
    So jung und heftig seine Liebe zu Matilda war – er hatte sich innerlich damit abgefunden, den übermächtigen Rivalen Nikolai Alexandrowitsch an seiner Seite zu dulden. Er hatte vorher nie geglaubt, daß so etwas möglich wäre: Daß man ein Mädchen lieben konnte und es doch teilen mußte mit einem anderen, klaglos, als ein Schicksal ansehend, weil der andere einmal der Zar sein würde, der mächtigste Mann der Welt, vor dem es keinen eigenen Willen mehr gab.
    So war man erzogen worden: zum Gehorsam, zur Duldung, zum Opfer. Man hatte seinen Eid geleistet, und dieser Eid, getreu bis in den Tod zu sein, umschloß nun einmal alles, was Leben in Rußland bedeutete. Ein Leben im Schatten des allmächtigen Zaren …
    Dazu gehörte auch Matilda Felixowna. Wenn der Zarewitsch sie verehrte, dann war das Schicksal. Schicksal, das einem sogar noch wohlwollend war: Was den Thronfolger vielleicht nur einmal wöchentlich beglückte, das besaß man Tag und Nacht. Natürlich konnte man ausbrechen, man konnte aus Rußland flüchten und Matilda mitnehmen, vielleicht weit über den Ozean, in die Neue Welt, in das freie Amerika – aber dieser Gedanke kam über einen Ansatz nicht hinaus.
    »Was machst du, wenn der Zarewitsch mich rufen läßt?« fragte sie leise.
    »Ich werde dich bis zu seiner Tür begleiten.«
    »Und dann?«
    »Ich weiß es nicht.« Boris Davidowitsch starrte in die prasselnde Flamme. Auf seinem Herzen lag ein schwerer Druck.
    »Du wirst dich entscheiden müssen, Matilda.«
    Der Papagei hob die Flügel. Sein Stichwort war gefallen: Matilda. »Ich heiße Niki!« krähte er laut. »Ich werde immer bei dir sein …«
    »Laß uns weglaufen, weit weg!« Matilda drückte ihr Gesicht gegen Boris Davidowitschs Brust. Er legte den Arm um sie und zog sie fester an sich. »Ich habe Angst …«
    »Du liebst den Zarewitsch?« fragte Soerenberg heiser. »Sei ehrlich, Matilduschka.«
    »Ich liebe dich …«
    »Als Flucht vor ihm …«
    Er streichelte ihr Haar, er küßte ihren Nacken und spürte an dem Zucken ihres Körpers, daß sie lautlos weinte.
    Da schwieg er, denn es war sinnlos, jetzt mit Worten zu trösten, wo man nicht trösten konnte. Er empfand ja das gleiche wie Matilda – nur im umgekehrten Sinn: Auch seine Liebe war von Beginn an zu immerwährender Tragik verurteilt. So aussichtslos Matildas Liebe zu dem Zarewitsch war, so opfervoll würde die seine sein, immer überschattet von der Unerfüllbarkeit.
    Der Papagei blieb also im Haus, aber Matilda hörte ihn nicht mehr an. Sie überließ ihn ganz ihrer Mutter, die tapfer zum Duell mit dem Vogel antrat. Es war eine Aufgabe, die Rosalia Antonowna voll ausfüllte.

IX
    Mitte Dezember war Fürst Valentin Wladimirowitsch Kramskoj so weit geheilt, daß Jussupow ihn aus seinem Palais entlassen konnte. Man spielte dazu eine kleine Komödie, die auch jeder glaubte.
    Tief vermummt, in einem eleganten Reiseschlitten mit zwei Begleitschlitten voller Koffer und Kisten rückte der Fürst wieder in St. Petersburg ein, von einer großen Reise zurückkommend, die er plötzlich hatte antreten müssen. Er sah von

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