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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mensch tanze. So innig konnte nur eine Elfe sein, ein Engel, ein überirdisches Wesen.
    Als Svanhilde starb, als die Bewegungen der Arme allmählich erlahmten, als das ganze Wunder zusammensank in einem weißen Tüllknäuel, als das letzte Zucken durch diesen grazilen Körper zitterte und die Liebe das Leben aufsaugte … da ging ein tiefes Seufzen durch alle Reihen des Opernhauses.
    Nikolai Alexandrowitsch saß mit starrem Gesicht in seiner Loge, seine junge Frau Alexandra Fjodorowna hatte glühende Wangen. »Das ist ein Wunder«, flüsterte sie immer wieder, »ein Wunder! Niki, wie kann man so tanzen? Mein Gott, stirbt sie nicht wirklich …«
    Aber Matilda Felixowna starb nicht.
    Nachdem der Vorhang sich geschlossen hatte und die letzten Takte der herrlichen Musik verklungen waren, erhob sie sich, nickte zur Seite und ließ den Vorhang wieder aufgehen. Mit einem vollendeten Hofknicks trat sie an die Rampe, umrauscht von dem tosenden Beifall und den lauten Bravorufen. Sie griff sich an den Hals und blickte hinauf zur Zarenloge. Erst jetzt sah man, daß sie eine Perlenkette trug. Große blaßrosa Perlen von schimmernder Schönheit …
    War es eine ungeschickte Bewegung oder war es ein Erschrecken über den ausbrechenden Jubel um ihre Person … jedenfalls zerriß die Kette plötzlich, die Perlen rollten aus ihrer Hand und rollten über die Bühne bis hinunter in den Orchestergraben.
    Matildas Gesicht war dabei völlig ausdruckslos. Sie öffnete dann die Hand und ließ die restlichen Perlen, die sie noch hielt, ebenfalls über den Bühnenboden rollen … Erst dann lächelte sie schwach, knickste wieder tief und neigte das Haupt zu dem Thronfolgerpaar hin.
    Der Vorhang fiel.
    Nikolai Alexandrowitsch saß wie gelähmt. Er hatte verstanden. Die Perlenkette kannte er genau. Er hatte sie Matilda an dem Abend geschenkt, als sie das größte Glück miteinander erlebten.
    Eine Kette für die Ewigkeit! Jetzt zerriß sie die Perlenschnur und streute die Perlen über die Bühne.
    Adieu hieß das. Adieu für immer! Du bist der Zar, ich bin die Tänzerin. Es gibt kein Band mehr zwischen uns. Keine Kette, die uns aneinanderfesselt. Sieh nur die Perlen, wie rasch sie wegrollen! So wird auch die Erinnerung wegrollen, Stück um Stück, und ich will sie nicht wieder auflesen und zusammenknüpfen lassen.
    Adieu, Niki!
    Trotz des rasenden Beifalls kam Matilda nicht mehr auf die Bühne. Sie hätte es auch gar nicht können, denn sie stand in ihrer Garderobe und zerriß stumm, mit steinernem Gesicht, ihr Kostüm als Schwanenkönigin.
    Tamara Jegorowna lehnte bleich an der Wand, sah ihr zu und hinderte sie nicht daran. Das war keine Zerstörungswut, kein Akt der Zerfleischung, keine Wahnsinnstat … Das war die kühle Abrechnung mit einer kurzen Lebensepoche. Das Zerfetzen eines schönen Traums. Die Rückkehr in die rauhe Wirklichkeit.
    »So ist es gut!« sagte die Jegorowna, als Matilda das Kleid in kleine Stücke gerissen hatte und die Fetzen durch die Luft wirbelten. »Ist dir jetzt wohler?«
    »Ja!« Matilda Felixowna breitete weit die Arme aus. »Und jetzt möchte ich Champagner trinken. Viel Champagner! Ein Faß voll Champagner! Wo steckt Borja?«
    »In der Zarenloge. Wo sonst?«
    »Hol ihn! Er muß kommen. Und wenn Niki ihn nicht gehen läßt, dann bestelle dem Zaren: ich will ihn sehen! Jetzt! Ich will Borja jetzt haben …«
    »Matilda!« Die Jegorowna ging zur Tür. »Soll es einen Skandal geben? Das mit den Perlen hat genügt …«
    »Ein Unfall, Tamarenka …«
    »Das weiß ich besser! Ich kenne dich!«
    »Los, holt mir Borja! Und bringt Champagner mit. Sag auch Mamuschka, sie soll kommen. Auch Mustin … Heute ist ein Grund zum Feiern! Eine Taufe ist es, eine Taufe mit Champagner! Ein neues Wesen wird geboren! Matilda Felixowna, der Weltstar!«
    Sie ließ sich auf ihren Schminkstuhl fallen, halb nackt in ihrem engen Untertrikot. Ihre Haare fielen wirr über das Gesicht. Sie schleuderte die Ballettschuhe von sich, deren Spitzen beinahe durchgetanzt waren.
    »Lauf, hol alles zusammen …«
    Zehn Minuten später standen Mustin, der Zwerg, die weinende Rosalia Antonowna, die hinter der Bühne gestanden hatte, weil in der Oper ja nur die feinen Herrschaften Platz hatten, und auch Boris in der Garderobe.
    Soerenberg trug wie sein Zar die Gardehusaren-Uniform, die Galaausführung mit dem pelzverbrämten Dolman. Man hatte ihn nicht vom Zaren wegholen müssen, Nikolai selbst hatte ihm beim Verlassen der Opernloge zugeflüstert:
    »Geh

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