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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und ging zu Fuß Matilda entgegen, die den Kutschenschlag öffnete. Sie sahen sich an und schwiegen. Man hatte einander so viel zu sagen, und weil es Gebirge waren, die man mit Worten versetzen wollte, waren die Kehlen zugeschnürt von zurückgehaltenen Tränen. Alles, was man sich sagen wollte, verkümmerte …
    Es gab keine Worte mehr dafür, keine Ausdrücke, keine Laute. Die Sprache war zu arm geworden, um das auszudrücken, was sie dachten, was sie fühlten, was sie einander erklären wollten.
    »Matilda«, begann der künftige Zar leise. »O mein Himmel, Matilda …«
    »Es war unser Schicksal von Beginn an –«, sagte sie stockend. »Wir … wir wußten es doch, Niki …«
    »Ich wollte davor davonlaufen.«
    »Das ist unmöglich.«
    »Ich wollte auf die Krone verzichten.«
    »Das darfst du nie! Nie! Du gehörst dem russischen Volk, ich gehöre der Kunst … Wir haben jeder ein Reich, in dem wir regieren müssen!«
    »Diese Antwort gibst du mir?«
    »Es ist die einzige Antwort, Niki. Die Antwort der Vernunft.«
    »Welch ein Engel bist du! Wie unerreichbar über allen übrigen Menschen schwebst du …«
    »Nein, Niki. Kein Engel. Ich bin ein ganz kleines Mädchen, das weiß, wie klein es ist. Das ist alles, Niki. Wir hatten zusammen einige Monate des Glücks … Wollen wir darüber traurig sein? Wollen wir undankbar werden gegenüber einem Schicksal, das uns so herrliche Stunden geschenkt hat? Warum sollten wir weinen, wenn das Leben seinen Lauf nimmt, wie es ihn nun einmal nehmen muß? Niki, ich habe … dich sehr geliebt …«
    »Ich werde dich immer lieben, Matilda!« Nikolai Alexandrowitsch zog ihre Hände an sich und küßte sie. »Ich wollte dich um Verzeihung bitten …«
    »Wozu? Wegen Alice? Sie gehört zu dir, sie wird eine gute Zarin sein. Und du liebst sie auch!«
    »Matilda! Es ist alles so ausweglos!«
    Sie sah, daß wieder Tränen in seinen Augen schimmerten, und nun fragte auch sie sich, wie es möglich sein würde, daß dieser Mann bald das größte Land der Welt regieren sollte. Er war für Kunst und Schönheit geboren, nicht für Politik und Intrige.
    »Ich … ich werde nun bald heiraten. Der Familienrat hat den 14. November bestimmt.«
    »Ich werde für dich beten, Niki –«, sagte sie kaum hörbar.
    »Wenn es das nur wäre!« Der Zarewitsch legte sein Gesicht in ihre Hände. »Es wird eine Festaufführung in der Oper geben. Du wirst vor uns tanzen müssen …«
    Er fühlte, wie sie erstarrte, aber sie sagte ganz ruhig: »Auch das werde ich tun, Niki. Natürlich wieder ›Schwanensee‹?«
    »Ja!« Er würgte an den Worten. »Es ist der Wunsch von Alix.«
    »Alexandra Fjodorowna.«
    »Sie weiß nichts von unserer Liebe.«
    »Glaubst du das?«
    »Ja. Ich weiß es bestimmt. Sie hat ahnungslos den Wunsch geäußert. Aber du könntest krank werden … du könntest vorher St. Petersburg verlassen … ins Ausland fahren … nach Paris … London … Rom …«
    »Hältst du mich für so feige, Niki? – Ich tanze!«
    »Ich könnte dir behilflich sein … Meine Kuriere können dich bringen, wohin du willst …«
    »Nein, Niki. Ich will in St. Petersburg bleiben. Ich will in deiner Nähe sein. Ich will dich … wenigstens ab und zu sehen. In der Loge der Oper, im Konzert, auf dem Paradeplatz, beim Manöver, bei Feiern und Staatsbesuchen, auf Empfängen … Es wird so viele Möglichkeiten geben, dich zu sehen! Und wenn ich dich dann sehe, Niki, dann werde ich leise zu mir sagen: Sieh ihn dir an, Matilda. Das ist der große Zar Nikolaus! Er hat dich einmal geliebt. Wir waren sehr glücklich zusammen. Gott schütze den Zaren! – Und ich werde immer glücklich sein, solange du es bist!«
    »O Gott! Deine geradezu himmlische Güte zerreißt mich!«
    Der Zarewitsch küßte wieder ihre Hände; dann zog er sie an sich und küßte sie auf den kalten Mund – zum letztenmal, das war ihnen beiden klar. Sie warf die Arme um seinen Nacken und so standen sie lange Zeit – als seien sie erstarrt in der Umarmung.
    Plötzlich riß sich Nikolai los, drehte sich rasch um und ging zu seinem Pferd.
    Er stieg in den Sattel, gab dem Pferd die Sporen und ließ es ein paar Schritte davongaloppieren. Aber dann zügelte er es, fiel in einen langsameren Gang und ritt davon, als müsse er eine Riesenlast nach sich ziehen. Ab und zu blickte er sich um.
    Da stand sie allein auf dem kahlen Feld, schmal und klein, hinter sich die Scheune und die Kutsche … Sie stand da, in ihren Pelz gehüllt, wie ein Halm, den man zu mähen

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