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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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seinen Weg. Sie war schön, und sie ging vielleicht zu sich nach Hause. Es war bald Viertel nach eins, und es drängte den Beamten, ihr zu raten, sich zu beeilen. Sie schien ihm verwundbar, und er hatte Angst um sie. Er lief ihr hinterher.
    »Mademoiselle, gehen Sie noch weit?«
    »Nein«, sagte die junge Frau. »Zur Metro Raspail.«
    »Raspail? Das gefällt mir aber gar nicht«, erwiderte der Beamte. »Ich würde Sie gern ein Stückchen begleiten. Mein nächster Kollege steht erst im Sektor Vavin.«
    Das Mädchen hatte schulterlanges Haar. Die Linie ihres Wangenknochens war klar und verführerisch. Nein, er wollte wirklich nicht, daß jemand ihr Schaden zufügte. Aber dieses Mädchen schien ganz ruhig in der Nacht. Sie schien die Nacht in der Stadt zu kennen.
    Das Mädchen zündete sich eine Zigarette an. Ihr war nicht ganz wohl in seiner Begleitung.
    »Was ist denn? Ist irgendwas los?« fragte sie.
    »Es ist wohl heute nacht nicht ganz ungefährlich. Ich begleite Sie fünfzig Meter.«
    »Ganz wie Sie wollen«, sagte das Mädchen.
    Aber es war offensichtlich, daß sie genauso gern allein gewesen wäre, und so liefen sie schweigend nebeneinander her.
    Ein paar Minuten später verließ sie der Beamte an der Ecke seiner Straße und ging die Strecke in Richtung Bahnhof Port-Royal zurück. Ein weiteres Mal lief er nun den Boulevard hinunter, bis er die Rue Bertholet kreuzte. Zwölftes Mal. Durch die Unterhaltung und das Begleiten der Frau hatte er höchstens zehn Minuten bei seiner Runde verloren. Aber das schien ihm auch zu seiner Aufgabe zu gehören.
    Zehn Minuten. Aber es hatte gereicht. Als er einen Blick in die lange, gerade Rue Bertholet warf, sah er den Umriß auf dem Bürgersteig.
    Das war's jetzt, dachte er verzweifelt, das ist für mich.
    Er rannte hin. Könnte es doch nur ein zusammengerollter Teppich sein. Aber das Blut floß ihm entgegen. Er legte seine Hand auf den am Boden ausgestreckten Arm. Er war lauwarm, es war gerade geschehen. Es war eine Frau.
    Sein Funkgerät rauschte. Er nahm Kontakt zu seinen Kollegen an den Ecken Les Gobelins, Vavin, Saint-Jacques, Cochin, Raspail und Denfert auf, um sie zu bitten, die Nachricht weiterzuleiten, ihren Posten nicht zu verlassen und alle Passanten zu überprüfen, die ihnen begegneten. Sollte der Mörder aber zum Beispiel im Auto geflüchtet sein, war klar, daß er entwischen würde. Er fühlte sich nicht schuldig, daß er für kurze Zeit seine Strecke verlassen hatte, um die junge Frau zu begleiten. Vielleicht hatte er das Mädchen mit den hübschen Wangenknochen gerettet.
    Die hier jedenfalls hatte er nicht gerettet. Wovon so ein Leben abhängt. Vom Wangenknochen der Toten konnte man übrigens nichts mehr erkennen. Der Beamte war allein, und ihm wurde übel, er richtete seine Lampe auf einen anderen Punkt, alarmierte seine Vorgesetzten und wartete, die Hand an der Pistole. Die Nacht hatte ihn schon lange nicht mehr so beeindruckt.
     
    Als das Telefon klingelte, sah Adamsberg Danglard an, aber er sprang nicht auf.
    »Jetzt ist es passiert«, sagte er.
    Dann nahm er ab, während er an den Lippen nagte.
    »Wo? Wiederholen Sie, wo«, sagte er nach einer Minute. »Bertholet? Aber das gesamte 5. müßte mit Männern geradezu gespickt sein! Allein auf dem Boulevard de Port-Royal müßten vier stehen! Was ist da passiert, verdammt?«
    Adamsbergs Stimme war lauter geworden. Er stellte den Lautsprecher an, damit Danglard die Antworten des Beamten hören konnte.
    »Wir waren nur zwei am Boulevard, Kommissar. In der Metro Bonne-Nouvelle hat es einen Unfall gegeben, zwei Züge ineinander, gegen Viertel nach elf. Keine Schwerverletzten, aber es mußten eine ganze Reihe Männer hin.«
    »Aber da hätten die Leute aus den Sektoren in der Umgebung abgezogen und zum 5. geschickt werden müssen! Ich hatte gesagt, alle Straßen im 5. abriegeln! Ich hatte es gesagt!«
    »Ich kann nichts dafür, Kommissar. Ich hatte keinerlei Anweisung.«
    Zum ersten Mal sah Danglard Adamsberg fast außer sich. Sie waren tatsächlich von dem Unfall an der Station Bonne-Nouvelle informiert worden, aber sie hatten beide gedacht, daß die Männer im 5. und 14. nicht betroffen wären. Es waren offenbar gegenteilige Befehle gegeben worden, oder das von Adamsberg gewünschte Netz war an oberer Stelle für nicht so wichtig gehalten worden.
    »Er hätte es in jedem Fall getan«, sagte Adamsberg und schüttelte den Kopf. »In dieser Straße oder einer anderen, zu dem Zeitpunkt oder zu einem anderen, er hätte

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