Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
gedroht haben, es allen Streikbrechern heimzuzahlen, sprich, sie niederzuschießen.»
Priebisch zögerte einen Augenblick. Solche Drohungen hatte er ausgestoßen, das war richtig. Aber war es nun klüger, das zuzugeben oder es abzustreiten? In dieser Sekunde wurde ihm erst so richtig bewusst, warum die Kriminalisten bei ihm waren: wegen Paul Tilkowski.
«Was ist nun?», fragte Galgenberg. «Immer raus mit de Zicke an de Frühlingsluft.»
«Kann sein, dass ich mal ein bisschen lauter geworden bin», gab Priebisch zu. «So ein Streikbrecher ist nun mal für die Streikenden ein elender Verräter. Sich aus allem raushalten, aber dann freudig alles mitnehmen, wenn es mehr Lohn geben sollte.»
Kappe nickte. «Ihren Zorn kann ich schon verstehen, aber deswegen schießt man doch keinen Menschen nieder.»
«Ich habe Paul Tilkowski nicht erschossen!», rief Priebisch.
«Und Sie wissen auch nicht, wer es getan hat?»
Doch! Priebisch hätte es um ein Haar ausgerufen. Doch, Dlugy ist es gewesen. Es fiel ihm schwer, seine Impulse zu kontrollieren.
«Nein», stieß er schließlich hervor, aber es war Kappe und Galgenberg deutlich anzusehen, dass sie ihm keinen Glauben schenkten. Priebisch begann zu schwitzen. Wenn sie ihn jetzt mitnahmen und ins Untersuchungsgefängnis steckten und das Gericht ihn später wegen des Mordes an Tilkowski zum Tode verurteilte. .. Schwindel packte ihn, er musste sich an der Tischkante festhalten. Ob Dlugy dann wirklich so anständig war, ein Geständnis abzulegen und ihn zu entlasten? Das war die große Frage - und wer konnte schon einem anderen Menschen ins Herz sehen? In der Tat: Dlugy war nicht zu trauen. Hatte er nicht in Schildhorn erklärt, er habe Tilkowski erschossen, um ein Zeichen zu setzen, und er werde alsbald zur Polizei gehen und sich selber stellen? War er aber noch nicht, dazu war er zu feige. Dafür opferte er nun seinen Freund.
Das alles schrie in Albert Priebisch danach, Dlugy ans Messer zu liefern und sich selber zu retten, doch zugleich hörte er aus seinem tiefsten Innern eine Stimme, die es ihm verbot. «Einen Freund und Genossen verrät man nicht!» Es war eine Sache der Ehre. Und so schwieg er denn. Für sich selber konnte er mühelos ein Alibi beibringen.
Die Mordkommission Kohlenplatz traf sich zur «Morgenandacht» im Zimmer des Leiters. Waldemar von Canow war schlecht gelaunt, denn es war erst Mitte der Woche, und das bedeutete, dass es bis zu ihrem Ende noch viele Stunden Bürofron für ihn geben würde.
«Was macht die verkohlte Leiche?», fragte er, nachdem er seine lieben Untergebenen begrüßt hatte.
«Sie verkohlt uns weiterhin», war Galgenbergs Antwort.
«Schickt uns zu einem Zimmermann namens Priebisch, aber der kann es nicht gewesen sein - sein Alibi ist in Ordnung: Er hat zur Tatzeit unter Zeugengegenwart in einer Destille gesessen. Ein Anruf beim Wirt hat das bestätigt.»
«Wie lange ist der Tilkowski nun schon tot?», fragte von Canow.
«Seit dem Abend des 24. September», antwortete Kappe. «Seit Sonnabend letzter Woche also.»
«Wird ja langsam Zeit, den Mörder zu finden. Also, meine Herren!»
Kappe fühlte sich ganz besonders angesprochen, obwohl Galgenberg und Dr. Kniehase viel mehr Dienstjahre aufzuweisen hatten und im Rang weit höher standen als her. «Ich finde es am besten», sagte er, «wenn wir uns weiterhin auf Moabit konzentrieren, weil ich mir sicher bin, dass der Mord an Paul Tilkowski mit den Moabiter Unruhen in enger Verbindung steht.»
«Wenn ich da widersprechen darf?» Dr. Kniehase hatte sich aufgerichtet. «Es kann ebenso gut ein ganz normaler Einbruch gewesen sein. Wie der erste auch, nur dass der Täter diesmal gestört worden ist und auf Tilkowski geschossen hat.»
«Sicher», musste Kappe zugeben, wobei er an Storkow und sich selbst denken musste. «Darum werden wir zusehen, dass wir diesen Flüster-Fritze, diesen. .. diesen. ..» Gott, sein schlechtes Namensgedächtnis! «.. . dass wir den bald zu fassen kriegen.»
«Friedrich Schwina», half ihm Galgenberg aus. «Wobei ich Sie leider nicht an die Hand nehmen kann, Kappe, weil ich dringend zum Zahnarzt muss.» Er zeigte auf seine dicke Backe.
«Und ich werde im Labor versuchen, die Herkunft der Fackel zu klären, mit der die Baracke bei Kockanz in Brand gesetzt worden ist», sagte Dr. Kniehase. «Das sind komplizierte chemische Prozesse, die ich Ihnen nicht im Einzelnen … Wissen wir, wo sie gekauft worden ist, können wir vielleicht auf den Täter
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