Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
alle Mühe, nicht wie ein auswärtiger Besucher zu wirken, wie einer, der aus Kyritz oder Pyritz kam. Ein Scherz von Galgenberg fiel ihm wieder ein: Kommt ein Hinterwäldler mit seiner Frau nach Berlin, und die beiden wollen ins Theater gehen. Fragt die Frau, als sie im Foyer eines Theaters vor der Kasse stehen: «Was kostet es denn?» Antwortet er, der gute zwei Zentner wiegt: «Komm, das können wir uns sowieso nicht leisten.» - «Warum denn das?» - «Na, da steht doch: Pro gramm eine Mark fünfzig - und das bei meinem Gewicht.»
«Bitte sehr, Sie wünschen?» Einer der Herren des Empfangs war auf ihn zugekommen.
«Ich soll ein Korsett für meine Mutter suchen, die sich den Fuß gebrochen hat.»
«Sehr wohl, dort entlang.»
Kappe war zu sehr Kriminaler, um nicht zu bemerken, wie der Mann innerlich feixte, weil er zu wissen glaubte, wozu das Korsett eigentlich gedacht war, wurde doch immer wieder kolportiert, dass sich ehrbare Männer zu Hause im Geheimen als Damen kleideten und sich als solche fühlten.
Als er Klara Göritz erblickte, wusste er sofort: Die oder keine. Zu liebreizend sah sie aus. Gerade hatte sie eine Dame der höheren Stände zur Kasse begleitet und konnte sich einen Augenblick erholen, bis die nächste Kundin zu bedienen war. Schon stand er neben ihr.
«Klara, ich musste dich wiedersehen.»
Sie blickte ihn kalt und abweisend an. «Nicht hier.» Und lauter: «Mein Herr, bitte belästigen Sie mich nicht.»
«Was ist denn los mit dir?!» Kappe hätte sie am liebsten gepackt und Anstalten gemacht, sie in eine der Umkleidekabinen zu ziehen, wo sie sich nicht so unnahbar geben musste. «Machen wir am Sonntag wieder einen Ausflug - allein?»
«Nein. Ich bin schon anderweitig unterwegs.»
ZWÖLF
Sonntag, 2. Oktober 1910
GOTTFRIED KOCKANZ hatte schlechte Laune. Aber wer hatte schon gern am Sonntagmorgen die Polizei in der Wohnung? Es dauerte zwei Stunden, bis die Kriminalschutzleute alles nach Spuren abgesucht und zu Protokoll genommen hatten.
«Ich fasse noch einmal zusammen», sagte der federführende Beamte. «Am Donnerstagmorgen ist Ihr Diener Alfons Weißagk nicht mehr zur Arbeit erschienen und hat sich bis heute nicht wieder bei Ihnen gemeldet. Sie können sich sein Verschwinden nicht erklären. Fest steht, dass er einiges an Geld und Schmuckstücken hat mitgehen lassen. Wenn Sie sich diese Liste bitte ansehen würden?» Kockanz nahm das Blatt zu Hand. «Ja danke. Es ist ja doch eine ganze Menge.»
«Sie haben wirklich Pech», sagte der zweite Beamte. «Erst der Einbruch bei Ihnen auf dem Kohlenplatz, dann die verkohlte Leiche, jetzt der Diebstahl hier. .. Aber was den Mord an Paul Tilkowski betrifft, da haben wir ja den Täter, und diesen Weißagk werden wir auch bald zu fassen bekommen.»
«Hoffen wir es.» Kockanz nahm seinen silbernen Krückstock und ging zur Anrichte. «Wenn die Herren einen kleinen Sauren mit Persiko oder ein Gläschen Danziger Goldwasser. ..?»
«Nein danke, Sie wissen doch: Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps.»
«Aber ich selber genehmige mir einen, ich bin ja nicht im Dienst. Auf den Schrecken. Dass ich den Diebstahl erst jetzt bemerkt habe, ist wirklich dumm, da wird der Alfons schon über alle Berge sein.»
«Warten wir’s ab. Viele Ganoven fühlen sich hier in Berlin am sichersten.»
Kockanz probierte beide Liköre und fühlte sich danach erheblich wohler. Was Weißagk ihm gestohlen hatte, ließ sich verschmerzen, es traf keinen Armen. Als die beiden Beamten wieder gegangen waren, putzte er sich heraus, denn er wollte den Sonntag zu einem kleinen Ausflug nutzen - allerdings nicht allein, sondern in Begleitung von Sophie Schünow. Wenn sie denn einwilligte.
Er verließ seine Wohnung und trat auf die Schloßstraße hinaus. Eine vornehme Ruhe umgab ihn, aber dennoch wollte er weg von hier, ein eigenes Haus besitzen, wie es sich für seinen Stand gehörte, und nicht mehr nur als Mieter leben. Doch was war eine Villa in Frohnau ohne eine Ehefrau? Andererseits - vielleicht war er schon heute Abend am Ziel. .. Nein, zu schnell durfte es mit der Eroberung nicht gehen, sonst würden die Leute ihn einen Leichenfledderer nennen, und üble Nachrede war nun das, was ein Geschäftsmann wie er am wenigsten gebrauchen konnte. Aber einfädeln konnte er die Sache sehr wohl, ohne ins Gerede zu kommen.
Er ging zur Wilmersdorfer Straße, wo er eine Garage für seinen Daimler angemietet hatte. Als er sich hinters Steuer gesetzt und den Motor gestartet hatte, war
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