Es geschah in einer Regennacht
von
seinen Freunden.
»Guten Tag!«, sagte er höflich.
»Hallo!« Gehrmann wandte
flüchtig den Kopf. »Ja, das ist ein echter Simonka. Interessierst du dich
dafür?«
»Allerdings.« Tim hörte, wie
Karl dicht hinter ihm ausatmete. Ungefähr so, als hätte man ihm die Faust auf
die Rippen gerammt. Aber im nächsten Moment hatte Tims Freund sich im Griff.
Tims Aufmerksamkeit war bereits
auf Zackler gerichtet. Auch der hatte sich kurz umgedreht — mit ausdruckslosem
bulligen Gesicht. Er hatte schmale Augen. Für eine halbe Sekunde entgleiste
seine Miene. Der dünnlippige Futterschlitz klaffte auf. Die schmalen Augen
wurden fast rund. Aber das dauerte wirklich nur eine halbe Sekunde, denn Nerven
hatte er offenbar wie ein streunender Bär. Mit gespielter Gleichgültigkeit
nickte er kurz und wandte sich wieder dem Bild zu.
Hallo!, dachte Tim. Dieser
Unsympath kennt uns wohl. Zumindest Gaby und mich. Aha! Dilch und Zackler, die
rüden Kunsträuber. Wem verdanke ich denn nun den Beschuss mit der Bohle? Und
wer hat Gaby geschubst?
Instinktiv blickte er auf
Zacklers Füße, und jetzt war’s an Tim, seine Miene zu beherrschen. Der
Ratzenkopf trug Sneakers. Die Schuhe waren aus weißem und rotem Leder. Und Tim
musste gar nicht den Blick fokussieren (scharf einstellen), um den
Kratzer zu entdecken.
»Und warum insbesondere?«,
fragte Gehrmann lächelnd, aber ohne das Gemälde aus den Augen zu lassen.
»Wegen der aktuellen Umstände«,
erwiderte Tim.
Gehrmann schien ihn nicht zu
hören. Er schwelgte in der Betrachtung und streckte die Hand zu dem Bild aus.
»Leider«, hob er an, »ist
Ludwig Simonka seit drei Jahren verschollen. In der letzten Zeit hatte er sich
zum Meister der Vedute-Malerei entwickelt, das heißt, der naturgetreuen
Abbildung von Stadtansichten und Landschaften. Dieser geniale Maler hatte
besondere Farben und eine einmalige Pinselführung. Straßenbilder, atmosphärisch
beklemmend. Wie dieses hier: eine Innenstadtszene von Verona. Er muss es gemalt
haben während seiner letzten Aufenthalte dort. Und er hat es auch dort
gelassen. Denn es wird uns jetzt angeboten von einem deutschen Ehepaar, das in
Verona lebt. Ja, Simonka liebte diese Gegend. Südtirol, Norditalien, Venetien.«
Er hielt inne und legte den Kopf zur Seite, als horche er. Erst jetzt schien
Tims Antwort bei ihm anzukommen. Er wandte sich um. »Was meinst du mit
aktuellen Umständen?«
»Den Kunstraub gestern Nacht,
den Einbruch ins Landesmuseum. Die beiden Täter haben Simonkas Hauptwerk
geraubt: den ›Tanzenden Tiger‹.«
Gehrmann starrte ihn an, als
hätte Tim den Weltuntergang verkündet, der unabänderlich für heute Abend
beschlossen sei. Es war bestimmt Gehrmanns dämlichster Gesichtsausdruck. Diese
Miene hatte er sicher nicht freiwillig aufgesetzt. Auf Tim wirkte das absolut
echt.
»Was?«, fragte Gehrmann. »Was?«
Tim grinste kalt und nickte,
statt seine Mitteilung zu wiederholen.
»Der... ›Tanzende Tiger‹... den
hat man...? Aber wie denn? Der hängt doch ganz oben im LM.« — LM ist im
Kunstbetrieb, dachte Tim, offenbar das Kürzel fürs Landesmuseum.
»Jetzt nicht mehr«, sagte er.
»Die Täter sind über ein Baugerüst eingestiegen. Ich hatte das Pech, dass ich
zur falschen Zeit unten stand, um nach Oskar zu suchen, dem Hund meiner
Freundin Gaby. Die Mistkerle haben eine schwere Holzbohle auf mich
runtergedonnert. Ich hätte tot sein können. Ziemlich brutale Methode — nur weil
ich gerade im Wege stand. Und auf der Flucht haben sie dann Gaby zu Boden
gestoßen. Aber keine Sorge! Wir erwischen die beiden. Und dann werden sie sich
wünschen, sie wären mir nie begegnet.«
Tim sah Zackler nicht an,
während er sprach, redete nur zu Gehrmann, obwohl sich jetzt auch der
Ratzenkopf umgedreht hatte. Er grimassierte. Das sollte wohl Entsetzen ausdrücken.
»Unfasslich!«, stöhnte
Gehrmann. »Was... was sind das für Menschen!«
»Geldgierige«, sagte Gaby.
»Sie könnten den ›Tiger‹
beschädigen«, sorgte sich der Galerist.
»Vielleicht sind sie vom Fach«,
sagte Tim mit ausdrucksloser Miene, »und wissen, wie man so was transportiert.
Ich war zwar groggy von dem Zusammenstoß mit der Bohle und lag auf dem Bauch.
Aber so viel habe ich mitgekriegt: Die Mistkerle hatten das Gemälde in eine
Decke gewickelt.«
»Trotzdem!« Gehrmann schüttelte
den Kopf.
»Gibt es bei Ihnen einen Herrn
Markus Dilch?«, kam Tim endlich zum eigentlichen Thema.
Gehrmann nickte. »Markus Dilch
ist mein Stellvertreter. Er ist
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