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Es gibt kein nächstes Mal

Es gibt kein nächstes Mal

Titel: Es gibt kein nächstes Mal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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uns
köstliche Hähnchen zu.«
    »Ich mag kein Huhn«, sagte der kleine Junge und
wirkte dabei äußerst entschlossen.
    »So hast du ein Huhn noch nie gegessen«, sagte
sein Vater ebenso unerbittlich.
    »Kommt es aus Amerika?«
    »Nun ja, in gewisser Weise schon«, erwiderte
Gemma.
    »Daddy, gibt es Pommes frites dazu?«
    Die erbarmungslosen Fragen gingen noch ein paar
Minuten weiter, und dann ließ sich der kleine Junge plötzlich von der Katze der
Nachbarn ablenken, die sich auf dem Rasen an eine Amsel heranpirschte.
    »Wer würde schon freiwillig Kinder wollen?«
sagte Jonathan zu seiner Entschuldigung.
    »Er ist niedlich«, sagte Gemma.
    »Hast du dir je...«
    »Überlegt, ob ich selbst gern welche hätte? Ich
weiß es nicht. Ich nehme an, man muß erst den richtigen Mann finden«, erwiderte
Gemma leichthin.
    »Und du hast dir nie gesagt... das ist der
Richtige?«
    »Doch, aber...« Sie hatte sich kleine Jungen mit
Olivers Locken und Olivers Augen vorgestellt. »Aber er hat sich in eine andere
Frau verliebt«, sagte sie. »Sollen wir für die Kinder eine Portion Pommes
frites in den Ofen schieben? Irgendwie glaube ich nicht, daß sie sich für
Kartoffeln in Folie begeistern werden... oh, danke, das ist nett von dir!«
    Jonathan hatte ihr ein Glas Rioja eingeschenkt.
»Komm mit und setz dich in den Schatten. Du mußt erschöpft sein.«
    »Eigentlich bin ich kein bißchen müde«, sagte
Gemma und ließ sich trotzdem auf dem gepolsterten Liegestuhl nieder. »Mir
schwirrt der Kopf. Es war irgendwie total verrückt, als Erwachsene mit Shirley
zu reden. Ich meine, ich weiß selbst, daß ich schon über Zwanzig war, als ich
von hier fortgegangen bin, aber mein Verhältnis zu ihr war immer ganz ähnlich
wie damals, als ich noch klein war... Heute, tja, heute war es anders. Es war,
als hätte sie regelrecht auf jemanden gewartet, mit dem sie über meine Mutter
reden kann... Ganz gleich, wie oft ich auch versucht habe, das Thema zu
wechseln, sie ist immer wieder darauf zurückgekommen... und schließlich war ich
dann selbst ganz versessen darauf, mehr zu erfahren... Ich habe mir Shirley und
dieses gewöhnliche kleine Städtchen am Meer angesehen, und ich habe mir gesagt,
Estella muß Beachtliches geleistet haben, als sie sich selbst erfunden hat, mit
all ihren Allüren und ihrem affektierten Getue...«
    »Ja, ich glaube auch, man hätte nicht gedacht,
daß sie in einem runtergekommenen Seebad in einem Fish-and-Chips-Shop groß
geworden ist, da hast du recht... Vielleicht war sie deshalb immer so aggressiv
und aufbrausend.«
    »Auf der Rückfahrt im Zug habe ich mir überlegt,
daß sie mich vielleicht deshalb gehaßt hat, weil ich unbedingt ein ganz
gewöhnliches Mädchen sein wollte... wenn ich es mir jetzt recht überlege, habe
ich jedesmal, wenn ich von Shirley zurückgekommen bin, gejammert und geklagt,
daß ich viel lieber dort leben würde... es muß sie wahnsinnig gemacht haben...«
    »Sie hat dich nicht gehaßt, Gemma... Daisy hat
es ihr einfacher gemacht. Ich glaube, es ist ihr einfach nur schwerer gefallen,
dich zu lieben, weil du ein so ernstes kleines Mädchen warst... fast schon
jemand, der ein Urteil über andere fällt... Vielleicht hat sie geglaubt, du
seist ihr auf die Schliche gekommen.«
    Gemma sah Estellas Gesicht vor sich, diesen
forschenden Blick, den sie so gut kannte, als wollte sie ihre Gedanken
ergründen. Hatte dieses bedrohliche Gesicht sich vor ihr gefürchtet? Gewiß
nicht. Der Rauch und die Glut des Barbecues konnten nicht verhindern, daß Gemma
zitterte.
     
    Sie konnte nicht schlafen. Jedesmal, wenn sie
die Augen schloß, sah sie ihre Mutter vor sich, nicht etwa tot, und sie lag
auch nicht so da, wie sie sie gefunden hatte, auf dem Bett ausgestreckt wie
eine gigantische Stoffpuppe, sondern sie war am Leben. Sie sprühte vor Leben,
und sie war jung und lächelte. Sie trug ein Kleid mit einem enganliegenden
Mieder und einem weiten Rock. Gemma konnte nicht sagen, welche Farbe es hatte,
denn das Bild vor ihren Augen war schwarzweiß. Sie setzte sich im Bett auf und
erkannte, daß sie an das Foto dachte, das ständig aus dem Album ihrer Mutter
herausgefallen war, das Foto, das auf der ersten Seite geklebt hatte, bis der
Leim spröde wurde, das Foto über der Bildunterschrift in einer geschwungenen
und doch sorgfältigen Handschrift, die lautete: »Der erste Tag meines Lebens.
Ich gehe von zu Hause fort.«
    Sie stand auf dem Bahnhof und war gerade dabei,
in einen Zug einzusteigen, wie Gemma

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