Es gibt kein nächstes Mal
reden konnte.
Sie hatte sich nie allzu geschickt angestellt,
wenn es darum ging, Freundschaften mit Frauen zu schließen, erkannte sie jetzt.
In ihren jungen Jahren hatte sie Gemma alles erzählt, und daher hatte sie es
nicht nötig gehabt und auch nicht den Wunsch verspürt, mit den anderen Mädchen
in der Schule über BH-Größen und Tampons zu tuscheln. Nachdem Gemma
fortgegangen war, war Oliver zu ihrem einzigen Vertrauten geworden. Sie hatte
nicht die geringsten Hemmungen gehabt, ihm ihre geheimsten Gedanken und
Regungen anzuvertrauen. Aber wenn es um ihre Ängste in bezug auf ihn ging,
hatte sie niemanden, mit dem sie reden konnte. Seit Gemmas Geständnis war das
Thema Oliver im Gespräch mit ihr ausgeklammert. Vielleicht hatte Kathy recht
gehabt. Vielleicht war ein Beziehungsberater die Lösung. Sie sah Olivers Profil
an. Alle Welt würde sie für verrückt halten, wenn sie ihn aufgab. Aber wenn sie
nicht bald etwas sagte, würde sie platzen.
»Ich spiele damit, eine Beziehungsberatung
aufzusuchen«, platzte sie plötzlich heraus.
»Schon wieder ein Artikel über Beziehungen?
Warum schreibst du nicht etwas zu einem ernstzunehmenden Thema? Du vergeudest
dein Talent als Journalistin...« Oliver überholte einen alten Mann, der auf
einem Esel ritt, und dann trat er das Gaspedal durch. Die Reifen sprühten einen
Schauer von Kieselsteinen auf Daisys nackten Arm.
»Nein, ich habe nicht von einem Artikel
gesprochen«, sagte sie und hoffte, er würde kapieren, wovon sie sprach, statt
es ihr so schwerzumachen. Oliver fing an »Der Amboßchor« zu singen.
»Ich meinte...« Daisy mußte schreien. »Ich
meinte nicht deshalb, sondern weil ich mit jemandem über unsere Beziehung
sprechen will.« Jetzt war sie endlich mit der Sprache rausgerückt.
Oliver sang weiter. Anfangs glaubte sie, er
hätte sie nicht gehört, doch er beendete die Strophe und sagte dann: »Warum
redest du nicht mit mir darüber? Ich warte schon lange darauf, daß du endlich
etwas sagst. Dir ist deutlich anzumerken, daß du nicht glücklich bist...«
Im ersten Moment war sie erbost. Wenn er es
längst wußte, warum hatte er dann bisher nichts gesagt? Aber andererseits mußte
sie sich auch fragen, warum sie nicht schon längst etwas gesagt hatte. Sie
fühlte sich aus der Bahn geworfen. Es war, als hätte er ihr schon wieder die
Macht entrissen. Sie beschloß, eine von Olivers Taktiken anzuwenden und nichts,
aber auch kein einziges Wort zu sagen. Etliche Minuten lang fuhren sie
schweigend weiter, und dann sagte Oliver: »Sieh mal, da stehen Windmühlen!«
»Deine Windmühlen können mich mal«, sagte Daisy.
Sie kam sich dumm vor. Jetzt würde alles, was sie ihm schonend hatte beibringen
wollen, gereizt klingen. Sie sah durch die Windschutzscheibe starr vor sich
hin. Der Wind blies dichte Haarwolken um ihr Gesicht. »Ich glaube, ich war noch
zu jung, als ich mich in dich verliebt habe«, begann sie, »und jetzt habe ich
das Gefühl, in der Falle zu sitzen.«
»Mein Gott, Daisy, du klingst schon ganz so wie
eines der Schundblätter, für die du schreibst.«
»Warum mußt du mich immer herabsetzen, mich
fertigmachen? Alles was ich tue, machst du schlecht!« schrie sie ihn plötzlich
an und forderte ihn dazu heraus, sie anzusehen. Er wandte sich vom Steuer ab,
und sie sah ihm an, daß sie ihn mit ihrem Geschrei schockiert hatte.
»Es tut mir leid«, sagte er schlicht und
einfach. »Ich will dich nur nicht verlieren.«
»Aber warum versuchst du dann ständig, mich
kleinzumachen?« fragte sie leise.
»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Vielleicht, weil
ich Angst davor habe, im Stich gelassen zu werden...«
»Begreifst du denn nicht, daß nicht alles immer
nur mit dir zu tun hat?« sagte sie mit erhobener Stimme. »Ich will über mich reden...«
»Dann erzähl mir alles über dich.«
Daraufhin fiel ihr kein weiteres Wort mehr ein.
Der Jeep schlingerte an der Felswand entlang.
Daisy schloß die Augen. Der Straßenrand war nicht befestigt. Jeden Moment würde
ein Brocken aus dem Weg rausbrechen, und der Jeep würde in die Tiefe stürzen.
Wie lange würde es wohl dauern, bis man sie hier fand und identifizierte?
fragte sie sich. Wie lange würde es dauern, ehe Gemma erfuhr, daß sie und
Oliver tot waren? Die arme Gemma würde sich wahrscheinlich denken, daß sie in
den letzten Augenblicken ihres Lebens glücklich gewesen waren, aber wie sehr
sie sich doch irren würde! Die letzte Stunde hatten sie beide erbittert
geschwiegen, und jetzt schien
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