Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman
dem Kind organisiert zu kriegen.«
»Ich fuhr damit durch die Berge, weil die Kurven viel interessanter waren als die Geraden.«
»Manche der Kollegen verwenden ihren ganzen Ehrgeiz darauf, sich möglichst viele von den unbeliebten Schichten vom Hals zu halten, als hätten sie keine anderen Ziele im Leben. Ständig muss man aufpassen, dass sie einen nicht übervorteilen. Das ist so anstrengend. Die Zeit und die Energie, die man aufbringen muss, sich dagegen zu wehren, werden einem auch nicht angerechnet, geschweige denn bezahlt.«
»Wenn es langweilig wurde, nahm ich ein zweites Auto und ließ sie ineinanderkrachen. Experimente mit Masse und Geschwindigkeit …«
»Die ständig wechselnden Schichten sind natürlich blöd für Anton, weil er sich die Wochentage noch nicht merken kann. Wenn ich ihm am Montag sage, dass ich ihn Mittwoch nicht von der Schule abholen kann, hat er es Dienstag schon wieder vergessen. Dann steht er da vor der Tür und ist enttäuscht, dass niemand kommt.«
Ein Geräusch, als ob jemand auf eine Katze getreten wäre, dringt durch das Grün zu uns herüber. In dem Garten neben uns läuft eine ältere Frau auf uns zu, während sie mit ihrer Gartenschere herumfuchtelt, und brüllt irgendetwas. Wir drehen beide den Kopf in ihre Richtung, kommen aber nicht darauf, was sie von uns will. Dann bemerke ich, dass ich im Gehen mit der Hand über ihre Buchsbaumhecke geglitten bin, was sie offensichtlich als Verletzung ihrer Eigentumsrechte ansieht. Bevor ich etwas erwidern kann, sind wir schon vorbei, und das Keifen bleibt wie in einem Videospiel hinter uns zurück. Vielleicht hätte ich mit Tannenzapfen nach ihr werfen sollen, um Bonuspunkte zu bekommen.
Ursula berichtet weiter über das, was sie zu ertragen hat. Dabei sieht sie aber eigentlich ganz zufrieden aus. Die Fähigkeit, auszuhalten, was von ihr verlangt wird, scheint sie auch stolz zu machen. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – hören ihre Beschwerden nicht auf. Aber sie hat ihren Platz im Leben immerhin gefunden, denke ich. Es ist vielleicht ein ungemütlicher, ungerechter und demütigender Ort, aber sie muss nicht mehr herumirren und weiß, dass es wenigstens nicht noch schlimmer kommen kann, während in meinem Leben in regelmäßigen Abständen alles zusammenbricht. Während meine Art langsam ausstirbt, ist ihre dabei, sich zu vermehren. Die Klinik wächst und wächst, und überall schießen neue Heime aus dem Boden, weil es immer mehr alte Menschen gibt. Um nicht weiter daran denken zu müssen, spiele ich in Gedanken wieder mit den Matchbox-Autos meiner Kindheit.
Wo ist eigentlich mein Kuli?
Wir setzen uns auf eine kleine Bank, die direkt gegenüber einer Buchsbaumhecke aufgestellt worden ist. Sie erinnert mich an Bushaltestellen und ihre eigentliche Bedeutung: zu warten. Entwürdigendes Warten. Stehengelassen werden. Sitzengelassen werden. Es dauert und dauert, bis der Bus kommen wird. Endlos verwartete Zeit. So viele Stunden werden verschwenderisch in der Gegend abgesessen. Ein Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber der Größe und Unübersichtlichkeit der Landschaft stellt sich dabei ein. Die Landschaft ist ein Labyrinth, aus dem man niemals wieder herausfinden wird. Dann kommt er endlich, der Bus. Und man ist schlagartig nicht mehr böse, da ist dann nur noch die Dankbarkeit, dass die große Langeweile endlich zu Ende ist.
Die Bank ist mit Sicherheit nicht wegen der guten Aussicht hier aufgestellt worden, denn es gibt keine. Jeder einzelne Garten, der hier angelegt ist, scheint sich vor ungewollten Blicken durch Buchsbaumhecken zu schützen.
»Ich habe gelernt, das alles nicht mehr so schlimm zu finden«, sagt sie mit missionarischem Unterton, und ich komme mir schon wieder wie ein Kind vor. Dieses Mal nicht wegen meines Trotzes, sondern weil sie mir wie eine Mutter in die Seele pustet, als wäre diese ein aufgeschrammtes Knie, und »Ist doch alles nicht so schlimm« haucht. Eine verletzende Geste für ein Kind, das ernst genommen werden will: Ist eben doch schlimm und tut weh. Mütter haben nicht immer recht.
»Ich habe nichts gelernt«, erwidere ich ernst, aber sie fasst meine verspätete Antwort als Witz auf und lacht.
Im Weitergehen versuche ich in die unterschiedlichen Grautöne der Häuser Farben zu interpretieren. Ich habe mich der reizarmen Umgebung offenbar schon angepasst.
Jetzt sind die Jungs dran. Wir stehen wieder in einer Reihe im Flur, der immer kälter wird, beobachten die kleinen Hügel, die auf
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