Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman
unseren Armen entstehen, und vergleichen unsere Körperteile. Arme, Beine, Bauch, Penis, Zunge. Einer hat Ohren, mit denen man ein Segelschiff antreiben könnte. Nach und nach öffnet sich für jeden von uns die Tür zum Behandlungszimmer. Wer wieder herauskommt, läuft schnell zurück in sein Zimmer, um sich anzuziehen. Einatmen, Ausatmen, Husten, Kniebeuge. Der Mann im weißen Kittel bellt seine Anweisungen, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Die Schwester im Raum passt auf, dass ich seine Zeit nicht verschwende, und wird böse, wenn ich etwas nicht gleich verstehe.
Je länger wir unterwegs sind, desto weniger gehen wir zusammen und desto mehr laufen wir nebeneinander her. Bis wir irgendwann schließlich in einen langen geraden Weg einbiegen, der direkt auf die Klinik zuführt. Die Buchsbaumhecken machen Platz für eine große, parkähnliche Landschaft, die schon zu dem Gesundheitszentrum zu gehören scheint. Das Gebäude selbst ist eigentlich eine Ansammlung von Anbauten, die sich um ein kleineres Stammhaus, einen Altbau, herum gruppieren. Man kann geradezu sehen, wie es wächst. Es ist ein Monster, das seine Arme ausstreckt und sich nach und nach über den ganzen Hügel stülpen wird, auf dem es sich befindet. Wir stehen noch eine ganze Weile nebeneinander, solange es eben geht, und reden über eigentlich nichts, bis sich das Monster irgendwann Ursula schnappt.
»Ich muss jetzt wirklich los«, sagt sie noch. Und: »Versuch doch einfach mal, an dich zu denken. Die anderen machen dich nur fertig.«
»Es scheint, als ob jeder irgendetwas hat, das ihn fertig macht.«
Sie nickt nicht ganz überzeugt. Eher so, als ob sie jetzt keine Zeit mehr hat zu widersprechen und ich wieder dieses kleine Kind bin, welches das letzte Wort haben muss. Dann gibt sie mir noch einen Kuss auf den Mund und marschiert zum Klinikum. Wenigstens ist jetzt nicht wieder von einer Krankheit die Rede oder davon, dass ich irgendetwas über mich herausfinden soll. Ich hasse diesen Psycho-Scheiß.
Ich drehe mich um und mache mich auf den Weg zurück. Der Bahnhof müsste kurz hinter ihrer Wohnung liegen, und ich brauche eigentlich nur in die gleiche Richtung zu gehen, aus der wir gekommen sind, aber schon nach wenigen Schritten finde ich zwischen den Buchsbaumhecken nicht mehr den richtigen Weg. Das Grau und Grün liefern keinerlei Anhaltspunkte darüber, wo ich mich befinde. Ich versuche mich an der sanften Steigung zu orientieren, die wir vorhin meiner Erinnerung nach bergab gelaufen sind. Die ganze Landschaft verwandelt sich vor meinen Augen in eine graugrüne Wüste, in die ich ohne Panik weiter hinein schlendere, als wäre die Abwesenheit erkennbarer Landmarken für den erfahrenen Wanderer kein Problem. Wenn alles gleich ist, gleich aussieht und überall das Gleiche ist, dann macht es keinen Unterschied, an welchem Ort genau man sich in dem ganzen Gleichen befindet. Weder das Vorwärts- noch das Rückwärtsgehen bringt einen irgendwo hin.
Ich gleite durch das Grün und Grau wie ein Taschenmesser durch einen Käse, der zu lange in der Sonne gelegen hat. Irgendwann finde ich es sogar schön und komme auf diese Weise nach einer unbestimmten Zeit doch noch am Bahnhof an.
11
Hildesheim war nicht der Ort, den sich Ursula erträumt hat, sondern derjenige, an den sie zurückkehren konnte, als es eng wurde. In den drei Jahren zwischen unserer ersten und zweiten Begegnung hat sie sich von einer Besucherin in eine echte Bewohnerin verwandelt. Ob es einen Ort gibt, an den ich zurückkehren könnte? Ein Netz, das mich auffangen würde? Meine eigenen Eltern waren immer schon zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um in dieser Hinsicht eine Hilfe zu sein. Vorläufig begnüge ich mich mit dem Reisen an sich. Ich sehe die Bahn als Fluss, dessen Bewegung man nicht mehr wahrnimmt, sobald man sich in ihm treiben lässt. Auf die Art befreit von dem Zwang, sich selbst bewegen zu müssen, macht das Leben eine Atempause.
Aus dem Zugfenster heraus kann man das ganze Elend zudem nicht erkennen, weil alles so schnell vorbeizieht. Die kleinen Erfolge und Misserfolge von Tropical Design sind auch schon irgendwo verschwunden. Alles ist zu weit weg, als dass es mich noch interessieren würde. Kehrte ich nach Hamburg zurück, um den anderen zu helfen, würde das auch nichts mehr ändern. Bald wird sich alles in Luft auflösen. Unser immer schon windiges Geschäft wird der Wirklichkeit Platz machen. Das Feld, das Hausmeister Schröter bestellt, ist einfach
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