Es ist nicht alles Gold was glänzt
Entschuldigungen bei der letzten Lagebesprechung, wenngleich die anderen drei zugeben mußten, daß sie – wo immer sie sich auch mit ihm zeigten – erstklassigen Service erhielten. Das Claridge machte da keine Ausnahme.
»Morgen also Wimbledon«, sagte Jean-Pierre. »Ich frag mich, wer wohl die erste Runde gewinnen wird.«
»Sie natürlich«, warf James ein in der Hoffnung, Jean-Pierres bissigen Bemerkungen über seine vergeblichen Anstrengungen dadurch die Spitze abbrechen zu können.
»Ihre Runde, James, läßt sich ohnehin nur dann gewinnen, wenn Sie jemals mit einem vernünftigen Vorschlag aufwarten können.«
James versank wieder in Schweigen.
»Ich meine, wenn man sich so seinen Umfang ansieht, müßten wir es eigentlich mit Ihrem Plan schaffen, Adrian«, sagte Stephen.
»Wenn er nicht an Leberzirrhose eingeht, bevor wir überhaupt anfangen können«, erwiderte Adrian. »Was für ein Gefühl haben Sie in bezug auf Oxford, Stephen?«
»Ich weiß noch nicht recht. Mir wird wohler zumute sein, wenn ich erst die Ascot-Hürde genommen habe. Ich muß ihn sprechen hören, ihn in seiner gewohnten Umgebung beobachten, ein Gefühl für den Mann bekommen. Das alles ist nicht möglich über einen ganzen Speisesaal hinweg.«
»Möglicherweise brauchen Sie auch gar nicht mehr so lange zu warten. Morgen um diese Zeit werden wir vielleicht schon alles wissen, was wir wissen müssen – oder wir sind bereits im Gefängnis gelandet«, sagte Adrian. »Unter Umständen kommen wir noch nicht einmal über den Start hinaus, vom Kassieren ganz zu schweigen.«
»Ich könnte noch nicht einmal eine Kaution aufbringen«, gestand Jean-Pierre.
Nachdem Harvey ein großes Glas Rémy Martin V.S.O.P. in einem Zug geleert hatte, verließ er seinen Tisch und drückte dem Oberkellner eine brandneue Pfundnote in die Hand.
»Der Halunke«, sagte Jean-Pierre aufgebracht. »Schon schlimm genug, zu wissen, daß er unser Geld gestohlen hat, aber es ist einfach demütigend, mit ansehen zu müssen, wie er es 'rauswirft.«
Die vier schickten sich an aufzubrechen, da der Zweck ihrer Expedition erfüllt war. Stephen bezahlte die Rechnung und trug die Summe sorgfältig in die Spesenaufstellung zu Lasten Harvey Metcalfes ein. Sie verließen das Hotel getrennt und so unauffällig wie möglich, was allerdings James nicht ganz leichtfiel, da alle Kellner und Portiers ihn unweigerlich mit einem »Gute Nacht, Mylord« grüßten.
Harvey machte einen Spaziergang um den Berkeley Square, ohne jedoch den großen jungen Mann zu bemerken, der sich in den Eingang zu dem Blumengeschäft von Moyses Stevens verdrückte aus Angst, von ihm entdeckt zu werden. Harvey konnte niemals der Versuchung widerstehen, einen Bobby nach dem Weg zum Buckingham Palace zu fragen, nur um des Vergnügens willen, dessen Reaktion mit der eines New Yorker Polizisten zu vergleichen, der in der Regel, mit seinem Revolver im Gürtel, Kaugummi kauend an einem Laternenpfahl lehnte. Wie Lenny Bruce bei seiner Deportation aus England gesagt hatte: »Eure Bullen sind so viel besser als unsere Bullen.« Ja, Harvey mochte England.
Ungefähr gegen 23.15 Uhr war er wieder im Claridge, duschte und ging ins Bett – ein großes Doppelbett, das ihm überdies jenes köstliche Gefühl der Berührung mit frischen Leintüchern vermittelte. Im Claridge mußte er allerdings auf Frauen verzichten; andernfalls wäre dies das letzte Mal gewesen, daß man ihm die Royal-Suite für Wimbledon und Ascot reserviert hätte. Das Zimmer schien ein ganz klein wenig zu schwanken, aber nach fünf Tagen auf einem Überseedampfer war das völlig normal und würde sich erst mit der folgenden Nacht geben. Trotzdem schlief er gut – mit sich und der Welt zufrieden.
10
Harvey stand um 7.30 Uhr auf – eine Gewohnheit, die er nicht ablegen konnte –, aber er gestattete sich den Urlaubsluxus, das Frühstück im Bett einzunehmen. Zehn Minuten, nachdem er den Etagenservice angerufen hatte, kam der Kellner mit einem Teewagen, beladen mit einer halben Grapefruit, Schinken und Eiern, Toast, dampfendem schwarzem Kaffee, einem Exemplar des ›Wall Street Journal‹ vom Vortag und den Morgenausgaben der ›Times‹, der ›Financial Times‹ und der ›International Herald Tribune‹.
Für Harvey war es unvorstellbar, wie er einen Europaaufenthalt ohne die ›International Herald Tribune‹ – im Fachjargon ›Trib‹ genannt – hätte überstehen können. Diese einzigartige, in Paris erscheinende Zeitung ist
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