Es ist nicht alles Gold was glänzt
vornehm zurückhaltende Mobiliar, der zuvorkommende Service und die Royal-Suite hatten keinerlei Einfluß auf seine Manieren. Er trottete ins Bad, um sich zu rasieren und eine Dusche zu nehmen. Arlene pflegte ihm vorzuhalten, daß die meisten Leute es umgekehrt machten: zuerst duschten und dann frühstückten; worauf Harvey ihr entgegenhielt, daß die meisten Leute alles umgekehrt wie er machten – und wohin kamen sie denn damit?
Harvey verbrachte gewöhnlich den ersten Morgen der beiden Wimbledon-Wochen in der Sommerausstellung der Royal Academy, Piccadilly. Danach stattete er den meisten größeren Galerien im West End – Agnew, Tooth, Marlborough und O'Hana –, die alle vom Claridge aus zu Fuß leicht zu erreichen waren, einen Besuch ab. Auch an diesem Morgen würde er keine Ausnahme machen. Harvey war in erster Linie ein Gewohnheitsmensch, wie das Team bald erfahren sollte.
Nachdem er sich angezogen und den Etagenservice angeschnauzt hatte, daß seine Bar nicht ausreichend mit Whiskey versorgt worden war, ging er die Treppe hinunter, trat durch den Seiteneingang des Hotels auf die Davies Street hinaus und strebte dem Berkeley Square zu. Harvey bemerkte nicht den geehrtenhaft wirkenden jungen Mann mit dem Sprechfunkgerät in der Hand auf der anderen Straßenseite.
»Er hat das Hotel verlassen«, sprach Stephen leise in seinen kleinen Pye-Taschenapparat, »und kommt auf Sie zu, James.«
»Ich übernehme ihn, sobald er auf dem Berkeley Square auftaucht, Stephen. Adrian – können Sie mich hören?«
»Ja.«
»Ich werde Ihnen Bescheid geben, sobald ich ihn im Blickfeld habe. Sie bleiben vor der Royal Academy.«
»Okay«, sagte Adrian.
Harvey schlenderte um den Berkeley Square herum, hinunter nach Piccadilly und durch die Palladio nachempfundenen Arkaden von Burlington House. Widerwillig stellte er sich im Vorhof an und stand nun mit den gewöhnlichen Sterblichen in der Schlange, die sich langsam an der Astronomical Society und der Society of Antiquaries vorbeibewegte. Er sah nicht den in ein Exemplar von ›Chemistry in Britain‹ (Adrian war ein sehr gründlicher Mensch) vertieften jungen Mann gegenüber, im Eingang zur Chemical Society. Endlich hatte Harvey die mit einem roten Teppich belegte Rampe der Royal Academy erreicht. Er bezahlte an der Kasse 3,50 Pfund für eine Dauerkarte, da er damit rechnete, noch mindestens drei- oder viermal hierherzukommen.
Den ganzen Vormittag lang betrachtete er sich eingehend die 1.182 Bilder, von denen kein einziges – wie es die strengen Regeln der Akademie wollten – vor dem Eröffnungstag dieser Ausstellung irgendwo anders auf der Welt gezeigt worden war. Trotz dieser strikten Bestimmung hatte das Ausstellungskomitee noch eine Auswahl unter mehr als 5.000 Bildern treffen müssen.
Am Eröffnungstag im Monat zuvor hatte Harvey durch seinen Beauftragten ein Aquarell von Alfred Daniels, das House of Commons darstellend, für 250 Pfund und zwei englische Provinzlandschaften in Öl von Bernard Dunstan für je 75 Pfund erworben. Die Sommerausstellung war noch immer die lohnendste der ganzen Welt. Selbst wenn er nicht alle Bilder, die er bei dieser Gelegenheit kaufte, in seinem Privatbesitz behalten wollte, ließen sie sich nach seiner Rückkehr in die Staaten großartig als Geschenke verwenden. Der Daniels erinnerte ihn an einen Lowry, den er vor ungefähr zwanzig Jahren für 80 Pfund in der Akademie erstanden hatte: Das Bild hatte ihn in seinem Urteilsvermögen bestätigt und sich als sehr clevere Kapitalanlage erwiesen.
Harvey sah sich vor allem die ausgestellten Bernard Dunstans genau an. Selbstverständlich waren sie alle bereits verkauft. Dunstan gehörte zu jenen Künstlern, deren Bilder stets in den ersten Minuten am Eröffnungstag verkauft wurden. Harvey war an diesem Tag nicht in London gewesen, hatte aber trotzdem keine Schwierigkeiten gehabt, das Gewünschte zu erwerben. Ganz vorn in der Schlange hatte sich nämlich sein Gewährsmann befunden, der nach Erhalt des Katalogs alle Künstler ankreuzte, von denen er wußte, daß – falls ihm ein Fehler unterliefe – Harvey sie leicht weiterverkaufen könnte oder – wenn sein Urteil sich als richtig herausstellte – auch behalten würde. Als die Ausstellung Punkt 10 Uhr morgens eröffnet wurde, war der Beauftragte schnurstracks zum Verkaufstisch gegangen und hatte die fünf oder sechs vorher im Katalog angekreuzten Bilder gekauft, ohne sie zuvor überhaupt gesehen zu haben. Harvey unterzog seine
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