Es ist niemals vorbei
schwanger sitzengelassen hatte. Bei dem Gedanken an das Mädchen, das sie einmal gewesen war, schmerzte mein Herz.
«Ana – ich – das wusste ich nicht.» Mac rang sichtlich um Fassung.
«Du bist weggelaufen. So etwas tun nur Feiglinge.»
«Ich bin weggelaufen, ja. Aber nicht deswegen. Davon habe ich nie etwas gewusst.»
«Ich wollte es dir sagen. An dem Abend, als ich zurückkam und deine Nachricht fand. Ich bin dir sogar zum Flughafen gefolgt, denn albern, wie ich war, hatte ich gehofft, du hättest vielleicht deine Meinung geändert. Stundenlang habe ich im Flughafen gehockt und gewartet. Dann habe ich angefangen nachzudenken und mich gefragt, was ich nur tun sollte. Du hast immer nur die Drogen und den Sex gesehen, aber ich war immer noch ein katholisches Mädchen. Wenn man in meiner Welt schwanger wurde, heiratete man den Vater des Kindes.»
«Ana! Ich habe nichts davon
gewusst
.»
«Und ich habe
gar nichts
gewusst. Nicht einmal, wer du warst und wo ich dich finden konnte. Aber du hast mir die wichtigste Lektion meines Lebens erteilt, denn durch dich habe ich erkannt, dass ich immer auf mich allein gestellt bin.»
Mac starrte sie an. Vor der nächsten Frage schien er sich ebenso sehr zu fürchten wie ich. Doch dann überwand er sich.
«Hast du das Kind bekommen?»
Ana schaute mich an. Ihr Blick war voller Hass. «Dein Mann hat
zwei
Söhne.»
«Das glaube ich einfach nicht», flüsterte Mac. Ich sah, wie viel Kraft es ihn kostete, das Gehörte zu verarbeiten.
«Du
glaubst
mir nicht?» Wutentbrannt fuhr Ana zu ihm herum.
«Nein, so habe ich das nicht gemeint.»
«Aber so hast du es gesagt. Oder sagst du Dinge, die du nicht
meinst
? Was willst du denn nicht
glauben
? Dass dein Sohn so wahr ist wie das Geld, das du mir gestohlen hast?» Anas Blick schoss zu den jungen Männern Diego und Felix hinüber, die mit verblüfften Mienen an der Tür standen. Wie anders Diego doch aussah: der höhere Wuchs, die hellere Haut, das brünette Haar und die blauen Augen. Und dieses Grübchen am Kinn – genau wie bei Mac! Diego konnte durchaus ein halber Amerikaner sein. Ein halber Mac.
«Ist der da etwa mein Vater?», fragte er jetzt.
«Falls man so jemanden als
Vater
bezeichnen kann, dann ja», höhnte Ana. «Er hat uns verlassen. Ihm verdanken wir das, was aus uns geworden ist. Sicher, wir sind reich und mächtig, aber wir stehen außerhalb des Gesetzes. Ihm verdanken wir, dass wir jeden Tag um unser Leben kämpfen müssen.»
Sie schnappte sich einen der Kerzenständer und schleuderte ihn zornig an die Fensterscheibe. Das Glas zersplitterte. Die Scherben des Kerzenständers fielen auf den Schreibtisch, und vom Meer her kam ein heißer Windstoß herein.
«In den Zeitungen nennen sie mich ‹Drogenchefin› und behaupten, ich ruiniere das Land. Und wessen Schuld ist das? Ich war sechzehn und erwartete ein Kind. Ich wurde verachtet. Niemand hat mir einen Job gegeben. Ist es da ein Wunder, dass ich das tat, was ich schon kannte? Immerhin konnte ich auf die Weise überleben.»
«Ana», begann Mac. «Ich –»
«Halt den Mund», herrschte Ana ihn an. «Ich werde meine Meinung nicht ändern, ganz gleich, was du sagen willst. Monatelang habe ich geschwiegen und mir überlegt, wann und wie ich es dir sagen sollte. Wie ich mich dir nähern sollte, Mac oder Dylan! Ich habe versucht, dir zu drohen. Ich habe dir angeboten, mein Teilhaber zu werden. Ich habe versucht, dich zu lieben. Es hat zu nichts geführt, das sehe ich jetzt ein. Alles ist gekommen, wie es kommen musste. Nichts lässt sich mehr rückgängig machen.» Sie schaute Diego an. Weicher fuhr sie fort: «Aber wenn ich dich sehe, mein Sohn, tut mir nichts leid.»
«Mein Vater wurde also nicht von Medinas Leuten umgebracht.»
«Nein. Ruben Medina würde mir
alles
nehmen, wenn er könnte, aber das hat er nicht getan.»
Diegos Miene verdüsterte sich. Dann maß er seine Mutter mit einem langen Blick. Wahrscheinlich setzte er im Geist all das, was sie ihm über seinen Vater erzählt hatte, neu zusammen und verwarf die Dinge, die nicht mehr passten. Er besaß die Schönheit seiner Mutter, vermischt mit Macs Zügen. Selbst wenn er die Stirn runzelte, war er immer noch ein gutaussehender junger Mann, ein Mann, der gerade dabei war, seinen Vater zu erkennen. Der Name Ruben Medina war mir ein Begriff. Er war einer der mexikanischen Drogenbosse, der mit anderen seines Kalibers um die Macht auf dem Drogenmarkt rang.
«Ich habe dir wehgetan», sagte Ana leise.
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