Es ist niemals vorbei
Ich hätte ihn nicht für immer verloren. Ich hätte niemals hierherkommen dürfen, denn mein jähes Auftauchen hatte das Gleichgewicht gestört, das Mac zwischen sich und Ana errichtet hatte. Vermutlich hatte er mit seiner typischen Geduld und Umsicht begonnen, sich einen Fluchtplan zurechtzulegen, und den hatte ich ebenfalls vereitelt. Mac war ein Mensch, der das Gesamtbild erkannte und stetig auf ein Ziel hinarbeitete. Nun würden wir beide sterben.
Ich versuchte, mir nicht genau auszumalen, auf welche Weise Diego uns umbringen konnte. Aus den Fernsehnachrichten kannte ich die Methoden der mexikanischen Drogenbarone, hatte Bilder gefolterter Leichen gesehen, die irgendwo am Wegesrand lagen, Opfer von Exekutionen, Verstümmelungen und Enthauptungen. Was zählten da schon zwei weitere Tote? Ich fing an zu würgen und spürte, dass Mac daraufhin tief und beruhigend zu atmen begann.
Hör auf zu denken
hieß seine Botschaft. Früher hatte er über meine blühende Phantasie gelacht, achtzig Prozent meiner Probleme lösten sich mit der Zeit von allein, hatte er immer gesagt. Und er fand mich zu ungeduldig. Natürlich hatte er recht, aber ich kam einfach nicht dagegen an. Gerade diese Eigenschaft hatte mich seinerzeit zu einer guten Polizistin gemacht, trotz der Gefahren, die sie mit sich brachte.
Durch das kleine, verschmierte Fenster in der Trennwand zwischen Fahrerkabine und Laderaum konnte ich die Köpfe unserer Bewacher und ein kleines Stück Straße erkennen, weiter nichts. Als der Tag langsam verblasste und in bläuliche Dämmerung überging, hielten wir an.
Diego und Felix stiegen aus und knallten die Türen zu. Gleich darauf wurde die hintere Tür aufgeschoben.
«Hol sie raus», befahl Diego.
Felix sprang zu uns herein. Als er die Fesseln an meinen Füßen losriss, sah ich, dass seine Hände zitterten. Vermutlich war es Zeit für seinen nächsten Schuss. Ein Drogensüchtiger und ein blutrünstiger Killer! Ich wusste nicht, was schlimmer war. Felix versetzte mir einen Stoß. Gebückt kroch ich hinaus, erst draußen richtete ich mich auf. Ich war ganz steif, und meine Beine kribbelten. Alles in mir sehnte sich nach Bewegung – und nach Flucht, aber zuerst wollte ich warten, bis auch Mac von seinen Fesseln befreit war.
Ich warf verstohlene Blicke nach allen Seiten. Wir befanden uns an einer schmalen, asphaltierten Straße, irgendwo im Niemandsland. Nur das dürre, salzverkrustete Gestrüpp und die zerzausten Palmen verrieten mir, dass das Meer nicht weit sein konnte. Über uns hing ein schwerer Abendhimmel, der sich langsam verdunkelte. Wahrscheinlich würden die beiden unsere Leichen in dieses dürre Buschwerk werfen oder ins Meer oder uns einfach am Rand der Straße liegenlassen. Wie weit war es wohl bis zu einer Hauptstraße? Und wie lange würde es von dort aus dauern, bis wir die relative Sicherheit einer vielbefahrenen Schnellstraße erreichten? Natürlich wäre jeder Fluchtversuch ein tolldreistes Unterfangen, aber das Risiko war es mir wert.
Mac kam aus dem Van, machte ein paar wackelige Schritte und ging taumelnd zu Boden. Diego lachte laut auf. Wie ein Echo lachte auch Felix. Die beiden hatten sich Handwaffen in den Bund ihrer Hosen gesteckt. Das Automatikgewehr war im Van geblieben.
Also hatten sie eine einfache Hinrichtung vor.
Macs Hände waren noch gefesselt. Schwerfällig wälzte er sich auf die Seite und richtete sich schwankend auf. Bis er sicher laufen konnte, würden einige Minuten vergehen. Das war kostbare Zeit.
«Machen wir es hier, Boss?», erkundigte sich Felix. Mit bebender Hand zerrte er die Waffe aus seinem Hosenbund. Diego sah es und verzog verächtlich das Gesicht.
«Warte noch einen Moment.»
Mac stand einen guten Meter von mir entfernt. Verzweifelt machten wir Grimassen und Zeichen. Ich wollte ihm klarmachen, dass wir die Flucht wagen sollten, aber was er mir signalisierte, verstand ich nicht. Hoffentlich sah er ein, dass wegzulaufen unsere einzige Überlebenschance war.
Ohne seine Waffe zu ziehen, ging Diego zu Mac und riss ihm den Klebestreifen vom Mund. Felix tat das Gleiche bei mir. Mein Mund schmerzte, als hätte er mir die Haut in Fetzen abgerissen.
«Was fällt dir ein?», blaffte Diego ihn an.
«Ich dachte –»
«Habe ich dir befohlen zu denken?»
«Verzeihung.» Mit unsteter Hand versuchte Felix, den Klebestreifen wieder auf meinen Mund zu drücken. «Er hält nicht mehr.»
«Vergiss es einfach.»
Der Klebestreifen fiel zu Boden.
Aber Diego war weder an
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