Es muss nicht immer Grappa sein
zu merkende Melodie. Eine Sängerin mit belangloser Stimme sang den Refrain Gu-hute Taaageeee – sche-le-hechte Taaage, sie ha-ben Pla-hatz in deinem He-herz … in einen elektronischen Kirchenhall hinein. Dazu flimmerten die Trailerbilder der Hauptdarsteller in Slow Motion über die Mattscheibe. Kiki Moreno erkannte ich leicht. Ein älterer Mann beugte sich über sie. Ich tippte auf Harro von Liechtenstein. Ich verstand, warum ihm die Drehbuchschreiber diesen Namen verpasst hatten – er sah einem deutschen Schäferhund nicht unähnlich.
»Da ist sie«, stellte Susi fest.
Kiki Moreno hatte gleich in der ersten Szene einen Auftritt. Das Blondhaar wirr, die Miene düster.
»Was ist mit der los?«, fragte ich.
»Ihre Model-Karriere ist durch Frank ruiniert worden«, wurde ich aufgeklärt.
»Wieso Model? Ich denke, Sandy besitzt eine Boutique?«
»Ja, aber sie hat ein Model-Casting gewonnen, dann tauchte Frank auf und hat es ihr versaut.«
»Wer ist Frank?«
Stella seufzte. »Das dauert echt zu lange, das alles zu erklären.«
Und schon unterbrach die erste Werbepause die Sendung.
Endlich erschien die Azu-Biene mit den Mandelhörnchen und verteilte sie.
»Richtig gemütlich ist das hier mit euch, so vorm Fernseher bei einer romantischen Familiensendung. Ich finde, wir sollten uns endlich duzen.«
Ich erntete Zustimmung, winkte mit meinem Mandelhörnchen, rief ein fröhliches »Prost« in die Runde und biss herzhaft in das klebrige Gebäck.
Die Werbepause ging zu Ende. Die Handlung ging etwa so weiter:
Wütend zerreißt Sandy im Park ihre Setcard vom Modelwettbewerb. Ein Typ beobachtet sie dabei. Sandy setzt sich auf den Rand eines Brunnens und verfolgt die Wasserspiele. Der Mann spricht sie an und behauptet, dass er Fotograf sei. Er macht ihr ein Angebot, das Sandy ablehnt: Nein, Pornofotos kommen für sie nicht infrage. So verzweifelt ist sie noch nicht. Der Mann will sie anfassen, doch sie stößt ihn in den Brunnen.
Schnitt.
Totale eines lauschigen Schlosses. Harro von Liechtenstein streitet sich mit seiner Gattin, der Gräfin von Liechtenstein. Die Gnädige ist gerade von einer Shoppingtour aus Mailand zurück und hat mehr Geld ausgegeben, als vereinbart war. Sie erinnert ihn süffisant an sein finanzielles Engagement für Sandy. Da guckt er ein wenig dumm aus der Wäsche.
Schnitt.
Der Pornofotograf ist aus dem Brunnen geklettert und blickt Sandy nach.
Umschnitt zu Sandy. Sie ist jetzt auf der Straße vor dem Park. Dort steht eine Limousine mit verdunkelten Scheiben. Zwei Männer springen aus dem Wagen und zerren sie ins Auto. Sandy wehrt sich und schreit …
Handyklingeln störte die herzzerreißende Szene. Der Hauptkommissar wollte mich sprechen. Ich verzog mich in meine Einzelzelle.
»Boris Gogol ist beim LKA kein Unbekannter«, berichtete Brinkhoff. »Gegen ihn ist unter anderem wegen Steuervergehen ermittelt worden, und zwar in Zusammenhang mit illegalem Kaviarhandel.«
»Hat es zu einer Vorstrafe gereicht?«
»Nein. Er ist immer wieder davongekommen. Inkasso Moskau gehört ihm zwar, doch auch hier gibt es keine Beweise für gesetzwidriges Verhalten. Kein Schuldner hat jemals Anzeige gegen die Geldeintreiber erstattet.«
»Und Hein Carstens? Er hat Nacktfotos von Gogols Geliebter gemacht.«
»Ich habe Boris Gogol zu einer Vernehmung vorgeladen. Ich werde ihn zu beiden Morden befragen.«
Luxus für Kanalratten
Es wurde Zeit, der geneigten Leserschaft meine neuen Erkenntnisse mitzuteilen. Jansen gab mir vierzig Zeilen auf der ersten Lokalseite. Ich würde den Artikel mit einem Foto der Kaviardose garnieren, die ich vor dem Haus gefunden hatte. Danach aber schnell weg mit dem Zeug, dachte ich. Am besten ins Klo, dann haben wenigstens die Kanalratten etwas davon.
NEUE FAKTEN IM MORDFALL EKATERINA S. – SCHMUGGELTE DIE NETTE OMA KAVIAR?
In der Wohnung der ermordeten Ekaterina S. (78) machte die Polizei einen ungewöhnlichen Fund: Im Bad stapelten sich Kisten mit feinstem russischem Kaviar, der illegal eingeführt worden ist. Die Fischeier des Störs sind der Inbegriff von Luxus – wenige Gramm kosten Hunderte von Euro. Er gilt neben dem Trüffelpilz als teuerste Delikatesse der Welt und ist überall begehrt. Das sogenannte ›schwarze Gold‹ unterliegt strengen Ausfuhrbestimmungen, damit das Aussterben der Störe verhindert werden kann. Doch das Schutzabkommen wird von Schmugglern, Wilderern und zwielichtigen Händlern unterlaufen.
Ekaterina S. hatte Kaviar im Wert von etwa 30.000
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