Es muss nicht immer Grappa sein
Originalfilm ist selbstverständlich bei der Polizei«, antwortete Sandberg. »Aber wir haben eine Kopie gezogen. Sie ist im Filmraum.«
»Ich würde sie gern sehen.«
»Glauben Sie, Sie sehen mehr als die Polizei?«
Trotz der Frage führte er mich in einen Raum mit vielen Monitoren. Hier sah es fast so aus wie in dem Regieraum von Gute Tage – schlechte Tage. Alles war nur eine Nummer kleiner und es gab keinen durchgeknallten Regisseur.
»Wir haben in jeder Etage Kameras in den Fluren«, erklärte Sandberg. »Sie zeichnen automatisch alles auf, was geschieht. Eigentlich schaut sich niemand die Filme an, denn sie zeigen immer das Gleiche: Gäste, die ihr Zimmer betreten oder verlassen, die Zimmermädchen oder die Etagenkellner. Die Kameras in der Halle sind direkt gegenüber dem Eingangsportal angebracht und oben bei den Fahrstühlen.«
»Aber irgendwann werden die Filme dann doch wichtig«, ergänzte ich.
»Hier ist der bewusste Tag.« Der Hoteldirektor griff in ein Regal und zog eine CD-ROM heraus. Er legte die Scheibe in das Laufwerk eines PC, startete das Programm und gab eine Uhrzeit ein. Wenig später sah ich ein ziemlich undeutliches Schwarz-Weiß-Bild von jemandem, der sich durch die Drehtür in die Empfangshalle quälte – ein wenig behindert durch eine große, längliche Tasche. Der Mann war klein, hatte sich eine Kappe ins Gesicht gezogen und telefonierte mobil.
»Er ist dann wohl nach oben gegangen«, erklärte Sandberg. »Auf Herrn Carstens’ Zimmer. Auch diese Szene haben wir festgehalten.«
Er spulte vor. Jetzt ging der kleine Mann langsam über den Flur, klopfte an eine Zimmertür. Wartete eine Weile. Die Tür wurde geöffnet.
»Das ist Carstens. Er lässt ihn hinein. Danach hat es keine Besuche mehr bei Carstens gegeben. Deshalb ist die Polizei sich auch sicher, dass der Mann der Mörder ist.«
»Logisch. Haben Sie auch die Szene, in der der Mörder das Zimmer verlässt?«, fragte ich.
»Ja. Hier.«
Ich sah den Mann – wieder mit der Kappe auf dem Kopf und der länglichen Tasche in der linken Hand – aus dem Zimmer kommen und über den Flur gehen.
»Es ist wirklich nichts zu erkennen«, gab ich zu. »Er nimmt sogar die Mordwaffe wieder mit. Und sein Schritt hat sich überhaupt nicht beschleunigt. Wenn ich gerade ein Blutbad angerichtet hätte, würde ich die Beine in die Hand nehmen und Vollgas geben. Ganz schön kaltblütig, der Typ.«
Am Abend machte ich mir einen Tee. Rooibos mit Pfirsicharoma. Ich trug den Becher in den Garten, betrachtete die Weinreben, die voller noch unreifer Trauben hingen, und ließ die vielen Fragen durch meinen Kopf wandern.
Was hatte sich hinter der Tür des Hotelzimmers abgespielt? Hatte es zwischen Carstens und dem Unbekannten Streit gegeben? War die Tat geplant gewesen oder hatte sie sich aus dem Moment ergeben? Es sah eher nach Plan aus. Warum hätte der Mann sonst in der Tasche den Baseballschläger mitführen sollen? Man hatte Carstens mit der Aussicht auf einen lukrativen Fotoauftrag geködert und er war darauf reingefallen.
Das Auffälligste an dem Täter waren seine schmächtige Gestalt und seine unheimliche Ruhe. Alles passte zu Gogols Leibwächter Nikita. Doch der hatte angeblich ein unumstößliches Alibi.
Plötzlich ging mir wieder der Gedanke an Kiki Moreno durch den Kopf. Sie hatte die Polizei und mich angelogen, war schmächtig und körperlich durchtrainiert – wie der Vorfall mit dem frechen Kellner im Mama Mia gezeigt hatte. Ob sie die Kraft und die Nerven hatte, einem erwachsenen Mann mit dem Baseballschläger den Schädel zu zertrümmern?
Ja, antwortete ich mir, wenn das Opfer arglos war und nicht mit einer Attacke rechnete. Und schon tauchte die nächste Frage auf: Wo hatte Kiki Moreno die Mordwaffe gelassen?
Es war noch nicht zu spät, Peter Jansen anzurufen und mit meiner neuesten These vertraut zu machen.
»Du spinnst, Grappa«, meinte er. »Guck dir das schmächtige Persönchen an! Das glaubst du doch selbst nicht.«
»Ich habe gesehen, wie sie den Kellner zu Boden geworfen hat. Da war nichts mehr mit schmächtig. Die Frau ist Schauspielerin. Die schlüpft in Männerklamotten, holt sich irgendwoher einen Baseballschläger und schickt Carstens ins Jenseits.«
»Und das Motiv?«
»Das bekomme ich schon noch heraus. Manchmal ist es bei der Verbrechensaufklärung halt nicht so wie im Lehrbuch der Kriminalwissenschaft. Da schließt man vom Motiv auf den Täter. Es geht aber auch umgekehrt. Ich schließe von der Täterin
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