Es muss nicht immer Grappa sein
sie schon in Deutschland.«
Das erste Bild zeigte ein bildschönes, etwa zwanzigjähriges Mädchen mit dunklem Haar. Es schob ein Fahrrad und lachte unbefangen in die Kamera. Es war mit einem einfachen Rock und einer karierten Bluse bekleidet und befand sich auf einer grob gepflasterten Dorfstraße. Rechts und links davon Holzhäuser. Solche Bauten hatte ich schon auf den Fotos im Potemkin gesehen – russische Bauernarchitektur.
»Sie kam aus einem kleinen Dorf«, erzählte Adrian. »Und später hat sie dann am Theater gearbeitet. Da war sie aber schon übergesiedelt.«
»Sie war Schauspielerin?«
»Nein. Souffleuse. Am Theater hat sie Opa getroffen. Er war Techniker dort. Kulissen und so was. Aber mehr weiß ich nicht.«
»Sie war sehr hübsch«, sagte ich. »Und die Augen haben Sie von ihr.«
Das zweite Foto zeigte Ekaterina Schöderlapp in europäischer Umgebung. Sie war anders frisiert, trug ein Kostüm und hohe Schuhe. Die Unbefangenheit war aus ihrem Blick verschwunden.
Adrian blätterte weiter. »Das bin ja ich. Als Baby.«
»Nehmen Sie das Album doch mit«, riet ich. »Vielleicht kommen ja noch ein paar gute Erinnerungen hoch.«
Auf gut Glück schnappte ich mir den größten Pappkarton, stellte ihn auf den Tisch und öffnete ihn. Briefe. Viele Briefe, mit Satinschleifen zusammengebunden. Alle waren an die Verstorbene gerichtet. Ich schaute nach dem Absender und konnte ihn nicht lesen. Er war in kyrillischer Schrift verfasst. Ich zog das gefaltete Papier aus einem der Umschläge. Handgeschriebene Sätze. »Können Sie Russisch?«
Adrian schüttelte den Kopf. »Leider nicht.«
»Diese Briefe waren Ihrer Oma wichtig«, stellte ich fest. »Sie hat sie fein säuberlich gesammelt und nach Jahren geordnet. Insgesamt vier Päckchen, das jüngste stammt aus diesem Jahr. Das bedeutet, dass sie seit vier Jahren einen regen Kontakt zu jemandem aus ihrer alten Heimat hatte.«
»Den Namen der Stadt kann ich deuten. Das ist Kiew. Und der Absender ist eine Frau. Galina Gubaidulina. Die Straße ist nicht angegeben.«
»Die Briefe kommen mir ziemlich privat vor. Ich würde sie trotzdem gern mitnehmen und übersetzen lassen. Geht das in Ordnung?«
»Klar.«
Adrian blickte eine Weile ins Leere. Dann sagte er: »Irgendwie ist es eigenartig, in den Sachen von Oma zu wühlen.«
»Mir ist auch ein bisschen komisch dabei«, gestand ich. »Wir sollten ein anderes Mal wiederkommen und dann systematisch vorgehen.«
Adrian atmete auf. Auf dem Weg zur Wohnungstür fiel mein Blick auf einen Adapter, der neben einer Steckdose lag.
»Der Adapter gehört zu einem Handy«, murmelte ich. »Gesehen habe ich hier aber keins.«
»Das ist ja auch bei mir«, erklärte Adrian. »Die Polizei hatte es mitgenommen, um es zu überprüfen. Aber ich habe es wiederbekommen. Es befindet sich bei mir zu Hause.«
»Dann lohnt sich eine nähere Betrachtung wohl nicht«, sagte ich und reichte ihm das Aufladegerät. »Wir werden nichts Neues finden. Aber vielleicht trotzdem: Einstöpseln und warten.«
Er schaute mich an und grinste. Ziemlich frech, wie ich fand. »Danke, Frau Grappa. Endlich hat mir jemand gesagt, wie das geht. Allerdings ist es ein russisches Handy. Die Tasten sind kyrillisch beschriftet.«
Soll ich Krimis schreiben?
»Können wir diese Briefe übersetzen lassen?«, fragte ich Peter Jansen und legte ihm die vier Bündel auf den Schreibtisch.
»Grappa! Wie stellst du dir das vor? Das dauert ewig und kostet ein Heidengeld.«
»Stimmt«, gab ich zu. »Bevor ein Übersetzungsbüro das schafft, ist der Mörder von Ekaterina Schöderlapp längst in Rente. Kennst du jemanden, der Russisch spricht?«
Jansen verneinte. »Und du?«
Ich überlegte. »Boris Gogol, seine Gorillas und vielleicht der Wirt aus dem Potemkin. Aber die gehören ja zur Gegenseite. Und dieser Superbulle Dr. Kleist, der kann auch Russisch. Er hat das Telefonat zwischen Gogol und seiner schlagfertigen Gattin verstanden.«
»Prima. Dann gib die Briefe an Kleist weiter.«
»Nur über meine Leiche«, rief ich empört aus. »Die Polizei hat die Briefe in der Wohnung gelassen – warum auch immer. Ich trage diesem Kleist doch nicht die Puschen hinterher.«
»Wäre doch ein hübsches Mitbringsel für die Fete heute Abend«, lächelte Jansen.
»Mist! Die hätte ich fast vergessen! Ich muss für Brinkhoff noch ein Geschenk besorgen. Hast du eine Idee?«
»Der Verlag spendet für den Weißen Ring. Brinkhoff hat doch in der Einladung vermerkt, dass er keine
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