Es muss nicht immer Grappa sein
elegant auf ein Sofa fallen. Jerome kniet sich vor sie und krempelt das Hosenbein hoch. Berührt ihre Haut. Bekommt einen engen Blick. Sandys Gesicht in Großaufnahme. Sie stöhnt leise. Ob aus Schmerz oder sexueller Erregung wird nicht klar.
»Der ist der Nächste, der sie flachlegt«, mutmaßte Vanessa. »Aber endlich mal einer in ihrem Alter.«
Ich hatte genug und ging in mein Zimmer. Jansen hatte den Artikel freigeschaltet und nur wenig geändert.
Auf dem Weg zum Parkplatz hatte ich das Gefühl, etwas übersehen zu haben. Ich versuchte, den Gedanken zu packen, doch es gelang mir nicht. Wie ein Wattebausch entschwebte er, wenn ich ihm näher kam.
Dann: Hein Carstens! Er war der Gedanke. Er passte nicht in die Erpressergeschichte. Mit Kaviar hatte er nichts zu tun. Aber welche Rolle spielte er dann? War er der Trumpf im Ärmel der Schöderlapp für den Fall, dass die Erpressung nicht klappte?
Zu Hause ging ich das Gesprächsprotokoll, das Gossen erstellt hatte, noch einmal durch. Auf die Frage: Wer war der Mann, der zahlen sollte?, antwortete Galina Gubaidulina Folgendes: »Ich kenne seinen Namen nicht. Aber sie verachtete ihn. Angst hatte sie überhaupt nicht. Als ich sie bat, vorsichtig zu sein, lachte sie nur und meinte, dass der Mann keine Chance gegen sie hätte. Er sei ein ängstlicher Wicht, der schon zusammenzuckt, wenn sie ihre Stimme erhebt.«
Ein ängstlicher Wicht! Die Bezeichnung passte nicht zu Gogol. Der Russe war sichtbar ein Koloss und der Letzte, der sich von einer 78-jährigen Frau einschüchtern lassen würde.
Ich las weiter und sammelte aus jeder Antwort die Informationen, die dem Unbekannten zuzuordnen waren, und schrieb sie auf ein Blatt Papier. Nach einer Stunde stand da Folgendes:
Der Mann hat etwas zu verbergen.
Er ist bereit, Risiken einzugehen, damit es nicht ans Tageslicht kommt.
Er hat Angst und ist unsicher, lässt sich »niederschreien«.
Er hat genug Geld, um hunderttausend Euro Schweigegeld zu zahlen. Und mehr.
Er wird von seiner Erpresserin nicht nur ausgenommen, sondern auch verachtet.
Fazit: Der Mann war eine labile Person, die aber – in die Enge getrieben – durchaus handeln konnte. Aber bedeutete das auch, in der Lage zu sein, eine Plastiktüte zu nehmen, sie einer alten Frau über den Kopf zu stülpen und so lange zu warten, bis der Widerstand des Opfers erlahmte? Die Schreie zu hören, dann das Stöhnen und Röcheln bis zum letzten Zucken?
Kikis letzter Drehtag
Die Nacht verbrachte ich in einer embryonalen Haltung – tief in mein Bett vergraben. Die schweren Träume waren jedoch verblichen, als ich kurz vor zehn Uhr aufwachte. Mir fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass es Samstag war und ich nicht zur Redaktion fahren musste. Ich warf mich in bequeme Klamotten und holte das Bierstädter Tageblatt aus dem Briefkasten.
Ich schlug die erste Lokalseite auf. Es war immer wieder eine Befriedigung meiner Eitelkeit, wenn ich die Autorenzeile las: Von Maria Grappa. Neuerdings gab es neben dem Namen des Reporters ein kleines Porträt, um die Leser-Blatt-Bindung zu verbessern. Das hatte nicht nur Vorteile, denn nun wussten die Leute, die angegriffen oder verarscht wurden, wie der Reporter aussah, dem sie den Artikel über sich verdankten. Ich hatte deshalb eines meiner Jugendfotos zur Verfügung gestellt.
Im Kühlschrank herrschte die übliche Leere. Immerhin war noch Kaffeemehl im Haus. Das frisch aufgebrühte Getränk machte mich endgültig wach. Das Handy klingelte. Die Nummer des Anrufers war unterdrückt. Ich ließ es klingeln. Die Mailbox sprang an. Dann sagte mir ein hoher Ton, dass ich eine Nachricht erhalten hatte.
Sie stammte vom Bluthund. Im Hintergrund Straßengeräusche und aufgeregte Stimmen. »Grappa, melde dich bei mir! Es ist was Schlimmes passiert. Also, mach schon!«
Na gut. Ich rief ihn zurück. »Was ist denn los?«
»Kiki Moreno ist tot. Überfahren. Fahrerflucht.«
Die Straße war gerade und rechts und links von Bürgersteigen begrenzt. Ich sah Menschen und Blaulicht und hörte aufgeregte Stimmen. Ein Kombi parkte mit offener Rückklappe. Neben Wayne waren noch andere Bluthunde hergelockt worden. Ich drückte mich an den Schaulustigen vorbei. Die Polizeibeamten hatten einen Sichtschutz aufgestellt, der neugierige Blicke und unerwünschte Foto- oder Filmaufnahmen unterbinden sollte.
Pöppelbaum entdeckte mich und trabte an. »Der Wagen kam von hinten und hat sie voll erwischt. Sie hatte keine Chance.«
»Ich konnte sie zwar nicht leiden,
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