Es muß nicht immer Kaviar sein
hieß nicht so. Er hatte sich bis vor kurzem Jean Leblanc genannt und hieß in Wahrheit Thomas Lieven.
Die beiden Herren erwarben zu einem kriegsbedingt überhöhten Preis sieben Eisenblechformen. Die Absicht, Kuchen darin zu backen, schien ihnen jedoch fernzuliegen. Anschließend kauften sie nämlich nicht etwa Butter, Zucker, Safran und Mehl, sondern gemeinsam bei einem Trödler in der kurzen Rue Mazagran neun Kilogramm Blei, eine große Tafel feuerfeste Schamotte sowie eine handliche Stahlflasche voll Propangas.
Danach wandten sie ihre Schritte dem »Alten Viertel« zu. Sie sprachen kaum miteinander, denn sie hatten sich eben kennengelernt.
Thomas Lieven dachte: Jetzt gehe ich also mit diesem Orang-Utan falsche Goldbarren herstellen; ein ungeheuerlicher Gedanke –! Das Allerschlimmste aber: Ich bin richtig neugierig, wie man so etwas fachmännisch macht!
Was Thomas nicht begriff, war Chantals Betragen. Als er ihr nämlich von den beiden Aufkäufern erzählt hatte, da meinte sie zunächst: »Na prima, prima, Süßer. Meine Organisation steht dir zur Verfügung. Fünfzehn erstklassige Spezialisten. Wir legen die beiden Gestapo-Schweine rein und deinen Oberst Siméon und verscheuern die Listen an den, der am meisten bezahlt!«
»Nein, nicht den Oberst. Ich habe versprochen, ihm zu helfen.«
»Du hast ja einen Vogel! Deutscher Idealismus, was? Zum Heulen. Bitte, dann dreh dir das Ding aber auch alleine! Stell dir selber dein Gold her, Mensch; von meinen Leuten hilft dir keiner!«
Tja, so war die Lage vor drei Tagen gewesen. Mittlerweile schien Chantal sich jedoch alles grundsätzlich anders überlegt zu haben. Sie war so zärtlich und leidenschaftlich wie noch nie. In einer der wenigen stillen Minuten der vergangenen Nacht hatte sie in Thomas Lievens Armen zugegeben: »Du hast ganz recht, du mußt dein Versprechen halten …« Kuß. »Ach, ich liebe dich ja noch viel mehr für deine Anständigkeit …« Zwei Küsse. »Du kannst auch Bastian haben … Du kannst alle meine Leute haben …«
An der Seite des riesigen Bastian Fabre, der einen Handkarren mit den gekauften Utensilien schob, ging Thomas nun durch die winkeligen, schmutzigen Gassen des »Alten Viertels« und dachte: Kann ich Chantal, diesem Biest, trauen? Hat sie mich nicht schon einmal belogen und betrogen? Sie hat etwas vor. Aber was?
Darauf hätte Bastian Fabre erschöpfend antworten können. An der Seite des schlanken, eleganten Thomas Lieven den Karren durch die winkeligen, schmutzigen Gassen des »Alten Viertels« schiebend, überlegte Bastian: Gefällt mir gar nicht, der junge Herr. Wohnt bei Chantal. Völlig klar, was da los ist. Haben schon manche Herren bei Chantal gewohnt. Aber bei diesem Pierre Hunebelle, da muß es tiefer sitzen. Bei dem geht die Chefin mehr aus sich heraus als je. Verdammt noch mal!
Bastian erinnerte sich der Worte, die Chantal auf der Betriebsversammlung ihrer Bande im Café »Le Brûleur de Loup« über den jungen Herrn verloren hatte: »Genialer Kopf. Keiner von euch Hornochsen kann ihm das Wasser reichen.«
»Na, na«, hatte Bastian zu bemerken gewagt.
Wie eine Rakete war Chantal auf ihn losgeschossen:
»Ta gueule!
Du wirst von heute an alles tun, was er dir aufträgt!«
»Also, Moment mal, Chantal …«
»Maul halten! Das ist eine
Order
, verstanden? Du wirst mit ihm zu Boule gehen und die falschen Goldbarren herstellen! Und ihr andern, ihr werdet sofort einen ständigen Überwachungsdienst einrichten. Ich muß wissen, was er macht, bei Tag und bei Nacht!«
»Bei Nacht solltest du es doch am besten wissen.«
»Noch ein Wort, und ich klebe dir eine! Das ist meine Liebe, kapiert? Der Junge ist nur zu anständig. Wenn er jetzt mit den beiden Gestapo-Schweinen verhandelt, müssen wir für ihn denken. Er weiß nicht, was für ihn gut ist …«
Also hatte Chantal gesprochen.
Neben Thomas durch das »Alte Viertel« trottend, dachte Bastian ergrimmt: Ich habe das Gefühl, der Junge weiß ganz genau, was für ihn gut ist.
Also dachte Bastian. Aber er sagte nicht, was er dachte. Sondern er sagte: »Wir sind da.« Und blieb stehen vor dem Haus 14 in der Rue d’Aubagne. Rechts vom Eingang gab es eine alte, abgesplitterte Emailtafel mit der Inschrift:
DR . RENÉ BOULE
ZAHNARZT
9–12 und 15–18 Uhr
Sie betraten das Haus und klingelten an einer Tür. Die Tür ging auf.
»Da seid ihr ja endlich«, sagte Dr. René Boule. Er war der kleinste Mann, den Thomas Lieven in seinem Leben gesehen hatte, und der
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