Es muß nicht immer Kaviar sein
Stunde fast leer war. An der Theke saß ein vierschrötiger Mann mit Bürstenhaar und trank Pernod.
»He, Bastian«, sagte der Kellner zu ihm.
Der Mann sah auf. Er hatte kleine Augen wie ein Elefant und große Hände wie ein Möbelpacker. »Worüber reden sie?« fragte er.
Der Kellner erzählte ihm, worüber die Herren im Extrazimmer redeten. Der Mann, der Bastian Fabre hieß, pfiff durch die Zähne. »Zweihundert Millionen! Allmächtiger Vater!« Er drückte dem Kellner Geld in die Hand. »Hör weiter zu. Merk dir jedes Wort. Ich komme zurück.«
»Ist gut, Bastian«, sagte der alte Kellner.
Bastian – er trug eine Lederjacke, eine Baskenmütze und graue Hosen – verließ die Bar, schwang sich auf ein altes Fahrrad und radelte am »Alten Hafen« entlang zum Quai des Belges hinauf. Hier standen die beiden berühmtesten Cafés der Stadt, das »Cintra« und das »Le Brûleur de Loup«. In beiden wurden illegale Transaktionen aller Art beschlossen. Das »Cintra« war moderner und hatte die bessere Kundschaft: reiche griechische Händler, Türken, Holländer und Ägypter.
Bastian begab sich in das altmodischere kleinere »Le Brûleur de Loup«. Hier, in dem dunkel getäfelten Raum, dessen große Spiegel matt und beschlagen das graue Licht der Straße reflektierten, saßen fast nur Einheimische. Zu dieser Mittagsstunde tranken die meisten ihren »Pastis«, einen süßen Apéritif, der 1939 noch zwei Franc gekostet hatte und jetzt zehn – eine Quelle ständiger Erbitterung für alle Patrioten.
Weinhändler, Fälscher, Schmuggler, Emigranten und Schieber saßen im »Brûleur de Loup«. Bastian kannte viele von ihnen; er grüßte und wurde gegrüßt. Am Ende des Lokals gab es eine Tür, an deren Klinke eine Tafel mit der Aufschrift GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT hing. Der Riese klopfte viermal lang, zweimal kurz. Daraufhin wurde die Tür geöffnet, und Bastian trat in den Raum. Hier brannte elektrisches Licht, denn es gab kein Fenster. Zum Schneiden dick hingen Tabakschwaden in der Luft. Um einen langen Tisch saßen fünfzehn Männer und eine einzige Frau. Die Männer sahen verwegen aus, bärtig zum Teil, zum Teil mit eingeschlagenen Nasen und Narben. Es gab Afrikaner, Armenier und Korsen unter ihnen.
Die Frau saß an der Spitze des Tisches. Sie trug eine rote Kappe, unter der blauschwarzes Haar hervorquoll. Sie hatte lange Hosen an und eine Jacke aus Rohleder. Einem neutralen Betrachter der seltsamen Tafelrunde wurde auf den ersten Blick klar, daß Chantal Tessier die Herrin, die absolute Herrin dieser Ganovenbande war, eine einsame Wölfin, eine Königin ohne Gnade.
»Warum kommst du erst jetzt?« schnauzte sie sofort Bastian an, der sie mit bettelnden Augen betrachtete. »Wir warten seit einer halben Stunde auf dich!«
»Die drei haben sich Zeit gelassen … Der Anwalt kam zu spät …«
Mit scharfer Stimme unterbrach ihn Chantal. »Willst du dir nicht endlich mal ’ne andere Kappe anschaffen? Zum Kotzen ist das mit euch! Muß denn jeder sehen, daß ihr aus dem Keller kommt?«
»Entschuldige, Chantal«, sagte Bastian gutmütig und verbarg verlegen seine speckige Kappe. Dann berichtete er, was er vom Kellner des »Hôtel Bristol« gehört hatte. Als er die zweihundert Millionen erwähnte, brandete eine Welle der Erregung durch den Raum. Ein paar Herren pfiffen, einer schlug auf den Tisch, alle sprachen durcheinander.
Die eisige Stimme Chantals übertönte sie alle: »Wollen die Herren vielleicht gütigst ihre Fressen halten!«
Es wurde still.
»Hier redet nur, wer gefragt ist, verstanden?« Chantal lehnte sich zurück. Sie befahl: »Zigarette!« Zwei Ganoven beeilten sich, sie zu bedienen.
Chantal stieß eine Rauchwolke aus. »Jetzt hört mal alle genau zu. Jetzt will ich euch erklären, was zu tun ist.«
Chantal Tessier, Bandenchefin und Liebhaberin von Rohleder, erklärte es. Und alle hörten ihr genau zu …
21
Man schrieb Donnerstag, den 5. Dezember 1940. Es war schon sehr kalt in Marseille. Zwei Herren standen in einem Geschäft in der Rue de Rome.
Der eine Herr sagte: »Ich möchte vier Kuchenkastenformen.«
»Und Sie?« fragte die Haushaltswarenverkäuferin den anderen Herrn.
Der andere Herr sagte: »Ich möchte drei Kuchenkastenformen, schönes Kind, wenn’s recht ist.«
Der eine Herr, ein muskulöser Riese mit rötlichem Bürstenhaar, nannte sich Bastian Fabre und hieß auch so.
Der andere Herr war elegant gekleidet und gut erzogen. Er nannte sich gerade Pierre Hunebelle, aber er
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