Es muß nicht immer Kaviar sein
bei dem genialen portugiesischen Maler und Fälscher Reynaldo Pereira, hatte Thomas Lieven mit den »Talenten« des »Alten Viertels« eine Dokumenten-Großfälscherei in Gang gesetzt. Diese arbeitete in Tag- und Nachtschichten. Damit konnte das gleichartige Unternehmen der »Glatze« einfach nicht mehr konkurrieren.
Die Dokumente der Organisation Chantal Tessier waren preiswerter und besser, und sie wurden schneller geliefert. In letzter Zeit verkaufte die Organisation auch noch eine Novität an alle interessierten Rotspanier, die seinerzeit vor Franco fliehen mußten und Sehnsucht nach ihrer alten Heimat empfanden. Diesen Leuten wurden mit den falschen spanischen Pässen auch noch makellos nachgemachte Dank-, Anerkennungs- und Auszeichnungsdiplome mitgeliefert, auf denen der Franco-Staat ihnen ihre Verdienste um die Falange bestätigte. Das war der absolute Verkaufsschlager des Sommers 1942.
»Meine Herren«, sprach Dantes Villeforte auf seiner Betriebsversammlung. »Chantal Tessier allein war schon eine Heimsuchung. Sie hat uns reingelegt. Sie hat uns geschadet noch und noch. Aber jetzt dieser Scheißkerl Pierre oder wie er sonst heißt – das ist zuviel!«
Beifälliges Gemurmel.
»Ich sage: Mit Chantal werden wir gerade eben noch fertig. Sie ist auch nicht ohne! Ich höre, sie liebt diesen Kerl. Was würde ihr also einen fürchterlichen Schlag versetzen?«
»Wenn wir ihren Süßen umlegten«, sagte einer.
»Du sprichst wie ein Vollidiot«, ärgerte sich Villeforte. »Umlegen, umlegen. Das ist alles, was euch einfällt. Was denn? Wozu haben wir Beziehungen zur Gestapo? Ich habe herausbekommen, daß dieser Mann unter anderem Hunebelle heißt. Und einen Hunebelle sucht die Gestapo. Wir können uns eine goldene Nase verdienen, wenn wir … Muß ich noch weitersprechen?«
Er mußte es nicht.
Am Abend des 17. September 1942 gab es ein heftiges Gewitter. Chantal und Thomas hatten ursprünglich die Absicht gehabt, ins Kino zu gehen. Nun entschlossen sie sich, daheim zu bleiben.
Sie tranken Calvados und spielten Schallplatten, und Chantal war in einer fast unglaublichen Weise anschmiegsam, sentimental und weich.
»Was hast du aus mir gemacht …«, flüsterte sie. »Ich erkenne mich manchmal selber nicht wieder …«
Thomas sagte: »Chantal, wir müssen hier weg. Ich habe böse Nachrichten bekommen. Marseille ist vor den Deutschen nicht mehr sicher.«
»Wir gehen in die Schweiz«, meinte sie. »Geld haben wir dort genug. Wir machen uns ein feines Leben.«
»Ja, Süße«, sagte er und küßte sie.
Dann flüsterte sie, mit Tränen in den Augen: »Ach, chéri … Ich bin so glücklich wie noch nie. Es muß ja nicht ewig dauern – nichts dauert ewig, aber eine Weile noch, eine kleine Weile …«
Später bekam Chantal Hunger – auf Weintrauben.
»Die Geschäfte haben geschlossen«, überlegte Thomas. »Aber am Bahnhof bekomme ich vielleicht noch Trauben …«
Er stand auf und zog sich an. Sie protestierte: »Bei diesem Wetter – du bist ja verrückt …«
»Nein, nein, du bekommst deine Weintrauben. Weil du Weintrauben liebst, und weil ich dich liebe.«
Plötzlich hatte sie wieder Tränen in den Augen. Sie schlug mit einer kleinen Faust auf ihr Knie und fluchte: »Mist, verdammter, es ist ja zu blöd! Ich muß weinen, weil ich dich so liebe …«
»Ich komme gleich zurück«, sagte Thomas und eilte davon. Er irrte sich.
Denn zwanzig Minuten nachdem er das Haus in der Rue Chevalier à la Rose verlassen hatte, um Trauben zu kaufen, befand sich Thomas Lieven, alias Jean Leblanc, alias Pierre Hunebelle, alias Eugen Wälterli, in den Händen der Gestapo.
19
Komisch, wie sehr ich mich an Chantal gewöhnt habe, dachte Thomas. Ich kann mir ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen. Ihre Verrücktheiten, die Raubtierallüren, dieses Einen-Mann-auffressen-Wollen, das alles entzückt mich aufs höchste. Ebenso ihr Mut, ihr Instinkt. Und sie lügt nicht. Oder fast nicht …
Über den menschenleeren Place Jules Guesde, dessen Asphaltdecke im Regen glänzte, schritt Thomas Lieven in die schmale Rue Bernard du Bois. Hier lag das kleine, altmodische »Handtuch«-Kino, das er oft mit Chantal besuchte.
Ein schwarzer Peugeot parkte vor dem Kino; er fiel Thomas nicht auf. Er ging weiter. Seine beiden Schatten folgten ihm. Als sie an dem schwarzen Peugeot vorüberkamen, klopfte der eine Schatten kurz gegen die Wagenfenster. Daraufhin flammten die Scheinwerfer des Peugeots auf – ganz kurz nur, dann
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