Es muß nicht immer Kaviar sein
erloschen sie wieder. Vom anderen Ende der schmalen, schlecht erleuchteten Straße setzten sich zwei andere Schatten in Bewegung.
Thomas bemerkte sie nicht. Er sah nicht die Männer, die ihm entgegenkamen, und nicht die Männer, die ihn verfolgten. Er war in Gedanken … Ich muß mal in Ruhe mit Chantal reden. Ich weiß aus guten Quellen: Noch in diesem Jahr werden amerikanische Truppen in Nordafrika landen. Die französische Untergrundbewegung setzt den Nazis mehr und mehr zu. Sie operiert vom Süden des Landes aus. Die Deutschen werden zweifellos auch den unbesetzten Teil Frankreichs okkupieren. Also werden Chantal und ich in die Schweiz gehen, baldmöglichst. In der Schweiz gibt es keine Nazis, keinen Krieg. Wir werden in Frieden leben …
Die beiden Schatten vor ihm kamen näher. Die beiden Schatten hinter ihm kamen näher. Der Motor des schwarzen Peugeots sprang an. Ohne Licht rollte der Wagen im Schrittempo los. Und immer noch bemerkte Thomas Lieven nichts.
Armer Thomas! Er war intelligent, gerecht und liebenswürdig, charmant und hilfsbereit. Aber er war nicht Old Shatterhand, nicht Napoleon, eine männliche Mata Hari war er nicht und auch kein Superman. Er war keiner von den Helden, über die man in den Büchern liest – die niemals ängstlichen, die ewig siegenden, die heldischen Heldenhelden. Er war nur ein ewig gejagter, ewig verfolgter, niemals in Frieden gelassener Mensch, der stets versuchen mußte, das Beste aus einer schlimmen Sache zu machen – wie wir alle.
Und darum bemerkte er nicht die Gefahr, in der er sich befand. Er dachte nichts Böses, als vor ihm plötzlich zwei Männer standen. Sie trugen Regenmäntel. Es waren Franzosen.
Der eine sagte: »Guten Abend, Monsieur. Können Sie uns wohl sagen, wie spät es ist?«
»Gerne«, antwortete Thomas. Mit der einen Hand hielt er seinen Schirm. Mit der anderen Hand holte er die geliebte Repetieruhr aus der Westentasche. Er ließ den Deckel aufspringen. In diesem Augenblick erreichten ihn auch die beiden Schatten, die hinter ihm hergewandert waren.
»Es ist jetzt genau acht Uhr und …«, begann Thomas. Danach bekam er einen fürchterlichen Schlag ins Genick.
Der Schirm flog weg. Die Repetieruhr – zum Glück hing sie an einer Kette – fiel Thomas aus der Hand. Ächzend brach er in die Knie. Er öffnete den Mund, um zu schreien. Da schoß eine Hand vor. Sie hielt einen riesigen Wattebausch. Die Watte traf Thomas im Gesicht. Brechreiz brandete in ihm hoch, als er den widerlichen süßen Geruch verspürte. Er kannte das alles schon, er hatte das alles schon einmal ähnlich in Lissabon erlebt. Damals war es noch gutgegangen. Diesmal, so sagte ihm ein blitzartiges Gefühl, indessen schon seine Sinne schwanden, würde es nicht gutgehen …
Dann hatte er das Bewußtsein verloren, und es bereitete seinen Entführern nur noch technische Schwierigkeiten, ihn im Fond des Peugeots zu verstauen. Ein reines Möbelpackerproblem.
20
»Bastian – he, Bastian, wach endlich auf, du fauler Sack!« schrie Olive, der dicke Wirt des Schwarzhändlerlokals »Chez Papa«, hinter dem der riesenhafte Bastian Fabre wohnte.
Chantals treuester Kumpan erwachte stöhnend und rollte auf den Rücken. Dann ächzte er, sich den Schädel haltend: »Bist du wahnsinnig! Was fällt dir ein, mich aufzuwecken?« Bastian hatte wenige Stunden zuvor mit dem hinkenden François ein Wetttrinken veranstaltet. Viel zu früh geweckt, stöhnte er jetzt: »Ich bin noch besoffen. Mir ist hundeelend …«
Olive rüttelte ihn erneut.
»Chantal will dich sprechen, am Telefon, dringend! Dein Freund Pierre ist verschwunden!«
Von einer Sekunde zur anderen war Bastian stocknüchtern. Er sprang aus dem Bett. In einer roten Pyjamajacke – Bastian trug stets nur Oberteile – rannte er in das Nebenzimmer, fuhr in Schlafrock und Pantoffeln. Dann stolperte er nach vorne in Olives Lokal, das zu dieser späten Stunde bereits geschlossen war und im Dunkeln lag. Die Stühle standen an den Tischen. In der Telefonzelle baumelte der Hörer. Bastian riß ihn ans Ohr: »Chantal!«
Das Herz tat ihm weh, als er ihre Stimme hörte, diese Stimme voller Verzweiflung, voller Angst. Noch nie hatte er sie in solcher Panik erlebt: »Bastian – Gott sei Dank – ich – ich kann nicht mehr … Ich renne seit Stunden durch die Stadt … Ich bin kaputt – erledigt … O Gott, Bastian, Pierre ist weg!«
Bastian wischte sich den Schweiß von der Stirn. Zu Olive, der neben ihn getreten war, sagte
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