Es muß nicht immer Kaviar sein
Haar hatte sie zu einem Knoten hochgenommen, an der Uniformjacke saß das goldene Parteiabzeichen, am Verschluß der strengen Bluse saß eine schwere, gehämmerte Brosche. Die Stabshauptführerin Mielcke, persönliche Referentin des Reichsarbeitsführers Hierl, trug braune Wollstrümpfe und flache braune Schuhe.
Eine unerforschliche Laune des Schicksals wollte es, daß sie just in jenem Moment an Thomas Lievens Abteil vorüberging, in welchem Schaffner Emile es geöffnet hatte. Sie hätte früher daran vorübergehen können, später, überhaupt nicht. Sie ging vorüber im unglückseligsten aller Augenblicke, sie sah und erkannte diesen Kerl, mit dem sie vor ein paar Wochen eine so ungeheuerliche Auseinandersetzung gehabt hatte, sie sah die schöne junge Frau an seiner Seite. Und eine weitere unerforschliche Laune des Schicksals wollte es, daß Thomas Lieven die Stabshauptführerin Mielcke nicht sah. Er wandte ihr das Profil zu. Im nächsten Augenblick war sie auch schon verschwunden …
»Ah, die Gläser!« freute sich Thomas. »Lassen Sie nur, ich mache die Flasche selber auf, Emile.« Er tat es, und sie tranken gerade das erste Glas, als zwei Minuten vor Abfahrt des Zuges die beiden Unteroffiziere der Zugkontrolle in ihrem Abteil erschienen.
Yvonne zeigte, daß sie nicht
nur
hysterisch sein konnte. Sie blieb vollkommen gefaßt. Die deutschen Soldaten waren sehr höflich. Sie ließen sich die Ausweise zeigen, grüßten, wünschten eine angenehme Reise und verschwanden wieder.
»Na, bitte!« sagte Thomas Lieven. »Geht doch wie am Schnürchen!«
Die beiden Soldaten verließen den Schlafwagen. Sie schritten auf die Stabshauptführerin zu, die auf dem Perron stand und sie ersucht hatte, die beiden Personen im Abteil 17 zu kontrollieren. Der eine Soldat sagte: »Die Leute sind in Ordnung, Stabshauptführerin. Abwehr Paris, alle beide. Ein gewisser Thomas Lieven und eine gewisse Madeleine Noël.«
»Madeleine Noël, sososo«, wiederholte die Stabshauptführerin, indessen Trillerpfeifen ertönten, Türen zuflogen und der Zug sich mit zischendem Dampf und ächzenden Achsen auf seine weite Reise machte. »Beide von der Abwehr Paris. Danke!«
Sie sah dem Zug nach, und ein böses Lächeln verzog plötzlich ihren strengen Mund. Das letztemal hatte die Stabshauptführerin Mielcke im August 1942 in Berlin so gelächelt, bei einem Empfang in der Reichskanzlei. Da hatte Heinrich Himmler einen Witz gemacht. Über die Polen.
16
Nach der ersten Flasche Veuve Clicquot verlor Yvonne ihre Angst. Ihre hysterische Verkrampftheit löste sich fast. Das Gespräch wurde fast lustig. Sie lachten beide – doch plötzlich hörte Yvonne auf zu lachen, rückte beiseite, stand auf, sah fort. Thomas begriff sie gut. Einmal hatte er ihre Liebe verschmäht. Keine Frau vergißt so etwas. Keine Frau will so etwas ein zweites Mal erleben.
Und so sagten sie sich gegen halb zwölf Uhr gute Nacht. Es ist das beste, dachte Thomas … Ist es das beste? Er war auch ein wenig beschwipst, und Yvonne erschien ihm sehr schön. Als er ihre Hand zum Abschied küßte, wich sie vor ihm zurück, lächelte verkrampft, versteinerte wieder.
Thomas ging in sein Abteil, zog sich aus und wusch sich. Als er eben die Pyjamahose angezogen hatte, bremste der Zug heftig und legte sich gleichzeitig in eine wüste Kurve. Thomas verlor das Gleichgewicht, taumelte durch sein Abteil und krachte wuchtig gegen die Verbindungstür, die aufsprang. Mehr stürzend als taumelnd, landete er in Yvonnes Abteil. Sie lag im Bett und fuhr erschrocken auf. »Um Gottes willen! –«
Er fand seinen Halt wieder. »Entschuldigen Sie. Ich habe es nicht absichtlich getan – wirklich nicht … Ich … gute Nacht …« Er ging zu der aufgesprungenen Tür zurück. Da hörte er ihre gehetzte Stimme: »Warten Sie!«
Er drehte sich um. Yvonnes Augen waren halb geschlossen und sehr dunkel. Der Mund stand halb geöffnet. Die Stimme klang atemlos: »Diese Narben …« Sie starrte seinen nackten Oberkörper an. Quer über seinen linken Brustkorb liefen drei häßliche, wulstig vernarbte Striemen einer besonderen Art, entstanden durch Schläge mit einem besonderen Instrument – einer gummiüberzogenen Spiralfeder.
»Das – das ist mir mal passiert …« Thomas drehte den Kopf fort. Unwillkürlich hob er einen Arm vor die Brust. »Ein Unfall …«
»Sie lügen …«
»Bitte?«
»Ich hatte einen Bruder. Er wurde zweimal von der Gestapo verhaftet. Beim zweitenmal wurde er
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