Es muß nicht immer Kaviar sein
die vor mir schon fliehen will,
bevor
sie mich kennt. Was für ein Kompliment!«
Er folgte der Hausfrau. Als er den Salon betrat, passierte ihm dann etwas, was ihm noch nie passiert war: Er ließ sein Martiniglas fallen. Der Drink sickerte in den dicken Teppich. Thomas stand wie gelähmt. Er starrte die schlanke junge Frau an, die auf einem antiken Sessel saß. Ferroud stand neben ihr wie ein Leibwächter. Aber unser Freund sah nur diese junge, blasse Frau mit den zusammengepreßten Lippen und den schräggeschnittenen grünen Augen, den streng gekämmten blonden Haaren, den hohen Backenknochen. Heiser kam ihre Stimme: »Guten Abend, Herr Sonderführer.«
»Guten Abend, Mademoiselle Dechamps«, sagte er mühsam. Und dann verneigte er sich vor der ehemaligen Assistentin Professor Débouchés, der ehemaligen Partisanin des »Maquis Crozant«, dieser leidenschaftlichen Deutschenhasserin, die ihm in Clermont-Ferrand ins Gesicht gespuckt und den Tod gewünscht hatte, einen langsamen, qualvollen Tod …
Jean-Paul Ferroud hob das Glas auf, das Thomas fallen lassen hatte, und sagte: »Wir haben Yvonne nicht erzählt, wer heute abend zu Besuch kommt. Sie … Sie hörte Ihre Stimme, als wir in die Küche gingen – und erkannte Sie wieder – und wollte weglaufen … Sie können sich denken, warum.«
»Ich kann es mir denken.«
»Nun gut, wir haben uns in Ihre Hand begeben, Herr Lieven. Yvonne ist in Todesgefahr. Die Gestapo jagt hinter ihr her. Wenn man ihr nicht hilft, ist sie verloren.«
Yvonne Dechamps’ Augen verengten sich zu Schlitzen. So sah sie Thomas an. Und in ihrem schönen Gesicht waren zu erkennen: Scham und Zorn, Verwirrung und Haß, Angst und Aufbegehren.
Thomas Lieven dachte:
Ich habe sie zweimal verraten. Einmal als Deutscher und einmal als Mann. Dieses zweite Mal kann sie mir nicht vergeben. Darum der Haß. Wenn ich damals in der Mühle von Gargilesse in ihrem Zimmer geblieben wäre …
Er hörte Ferroud sagen: »Sie sind Bankier wie ich. Ich rede nicht von Sentiments. Ich rede von Geschäften. Sie wollen Informationen über den schwarzen Markt. Ich will, daß der Cousine meiner Frau nichts passiert. Klar?«
»Klar«, sagte Thomas. Seine Lippen waren plötzlich trocken wie Pergament. Er fragte Yvonne: »Wieso ist die Gestapo hinter Ihnen her?« Sie warf den Kopf zurück und sah zur Seite.
»Yvonne!« rief Madame Ferroud wütend.
Thomas zuckte die Schultern. »Ihre Cousine und ich sind gute alte Feinde, Madame. Sie kann mir nicht verzeihen, daß ich sie damals in Clermont-Ferrand laufenließ. Ich gab ihr noch die Adresse eines Freundes namens Bastian Fabre. Der hätte sie versteckt. Leider scheint sie ihn nicht aufgesucht zu haben.«
»Sie hat die Führer des Maquis von Limoges aufgesucht, um weiter in der Résistance zu arbeiten«, sagte Ferroud.
»Unsere kleine Patriotin, das Heldenweib«, sagte Thomas und seufzte.
Plötzlich sah Yvonne ihn an, offen und ruhig, und zum erstenmal ohne Haß. Sie sagte einfach: »Es ist mein Land, Herr Lieven. Ich wollte für mein Land weiterkämpfen. Was hätten Sie getan?«
»Ich weiß es nicht. Dasselbe vielleicht. Was passierte?«
Yvonne senkte den Kopf.
Ferroud sagte: »Es war ein Verräter in der Gruppe. Der Funker. Die Gestapo verhaftete 55 Maquisards. Sechs sucht sie noch. Einer der sechs sitzt hier.«
»Yvonne hat Verwandte in Lissabon«, sagte Madame Ferroud. »Wenn sie dorthin kommt, ist sie gerettet.«
Die beiden Männer sahen sich stumm an. Thomas wußte: Das war der Beginn einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Aber, dachte er, wie ich das alles meinem Oberst verkaufe, weiß der liebe Himmel!
Der chinesische Diener erschien mit Verneigungen. »Das Essen ist fertig«, sagte Madame Ferroud.
Sie ging voraus in das Speisezimmer. Die andern folgten ihr. Dabei streifte Thomas Lievens Hand Yvonnes Arm. Sie zuckte zusammen, als hätte sie einen elektrischen Schlag erhalten. Er sah sie an. Ihre Augen wurden plötzlich dunkel. Das Blut schoß ihr zu Kopf.
»Das müssen Sie sich aber schleunigst abgewöhnen«, sagte er.
»Wa-was?«
»Dieses Erschrecken. Dieses Erröten. Als Agentin der Deutschen Abwehr müssen Sie sich besser beherrschen.«
»Als – als was?«
»Als deutsche Abwehragentin«, erwiderte Thomas Lieven. »Was ist denn los? Haben Sie gedacht, ich kann Sie als französische Widerstandskämpferin nach Lissabon bringen?«
15
Der planmäßige Nachtschnellzug nach Marseille, der Paris um 21 Uhr 50 verließ, führte drei Schlafwagen
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