Es muß nicht immer Kaviar sein
haben wir uns gekauft, Bastian, mein Alter, was?« meinte Thomas Lieven.
»Und alles mit dem Geld der französischen Armee bezahlt«, grunzte der ehemalige Ganove aus Marseille, der sich seit einigen Wochen als Lievens Kammerdiener versuchte.
Sie gingen auf die Villa zu. Thomas sagte: »Heute nacht habe ich mal ausgerechnet, wieviel wir bei unserm Umsatz dem französischen Finanzamt schulden.«
»Wieviel denn?«
»Etwa dreißig Millionen Franc«, sagte Thomas schlicht.
Bastian erheiterte sich unmäßig. »Vive la grande armée!«
In der Villa läutete das Telefon. Westenhoff war am Apparat:
»Möchtest du heute abend zu Eva Braun kommen?«
»Was?«
»In ihre Villa, meine ich. Ecke Maria-Theresia-/Prinzregentenstraße.«
»Da sitzt doch jetzt der CIC drin.«
»Richtig, Junge, richtig.«
»Ich habe dir gesagt, ich arbeite nie wieder als Geheimagent. Auch nicht für euch!«
»Du sollst für uns nicht als Geheimagent arbeiten, sondern als Koch.«
»Deine Freunde werden doch einen eigenen Koch haben!«
»Haben sie auch. Einen ganz erstklassigen sogar. War einst ein ganz großer Restaurateur. Und ein Blutordensträger dazu …«
»Gratuliere. Einen feinen Geschmack haben deine Freunde.«
»Der Koch hatte einen noch besseren. Als er verhaftet wurde, verriet er ohne Zögern alle seine Bonzenfreunde. Dafür steckte der CIC ihn nicht sofort ins Lager. Er lebt unter Hausarrest und kocht. Aber heute kann er nicht kochen, heute hat er Durchfall. Komm doch und hilf diesen Abend aus, Thomas. Mir zuliebe. Sie haben einen Rehbock. Ein Special Agent hat ihn erlegt. Mit der Armbrust.«
»Kurt, du sollst am Tag nicht soviel trinken!«
»Es ist die reine Wahrheit, er hat ihn mit dem Flitzbogen erlegt. Ich kenne den Mann. Er geht
nur
mit dem Flitzbogen auf die Jagd. Er sagt, die Tiere müssen viel weniger leiden. Es wäre humaner so.«
Vollgefressen, wie wir heute sind, erinnern wir uns kaum noch, wie es damals war:
Nur 800 Kalorien täglich konnten im Juni 1946 im Ruhrgebiet an »Normalverbraucher« ausgegeben werden. In Bayern waren es 950 Kalorien. Schwerarbeiter erhielten 1700, Schwerstarbeiter 2100, Bergarbeiter 2400 Kalorien.
Nur 7 (!) Gramm Fett enthielt noch im September 1947 die »Grundration«. Vorkriegsverbrauch: 110 Gramm.
Nur 14 Gramm Fleisch enthielt die »Grundration« im September 1947. Vorkriegsverbrauch: 123 Gramm.
Die Deutsche Ärzteschaft gab im Sommer 1947 in einer »Resolution zur Ernährungslage« die Mindestfettmenge pro Kopf und Tag mit 40 bis 60 Gramm an.
Ein Trost: Der Blutordensträger, der sich durch diese schlimme Zeit als Koch beim amerikanischen CIC hinlänglich gegen die Gefahr des Verhungerns absicherte, überstand auch die erwähnte Diarrhöe gut. Er überstand überhaupt alles gut. Heute ist er Besitzer eines bekannten Restaurants in einer großen Stadt im Süden Deutschlands …
13
Eine hübsche Villa hatte Hitler seiner Geliebten geschenkt, fand Bastian Fabre, als er mit Thomas Lieven in der Küche des Gebäudes gelandet war: »Das hätt’ ich dem Vegetarier gar nicht zugetraut, was meinst du, Kumpel?«
»Und was hatte sie davon? Jetzt ist sie tot«, sagte Thomas. »Ich denke, wir machen
vor
dem Reh einen Parmesanpudding und
nach
dem Reh etwas Süßes; das lieben die Amis.«
Teurer und geistreicher Leser, schöne und elegante Leserin! Schwer, bitter schwer fällt es uns, zu berichten, was wir nun zu berichten haben: Niemals noch – und Sie selbst sind die besten Zeugen dafür – hat unser Freund sich in der Vergangenheit betrunken.
An diesem 16. Juli 1946 jedoch betrank er sich in der Villa der (un)seligen Hitlergeliebten wie noch nie zuvor in seinem Leben. Und nur mit dem entsprechend ungeheuerlichen Promille-Gehalt läßt sich erklären, was Thomas Lieven in seinem katastrophalen Zustand widerfuhr.
Vielleicht hätte Bastian auf seinen Herrn besser aufpassen müssen. Er interessierte sich an jenem Abend jedoch allzusehr für das rothaarige Serviermädchen. Mit dieser etwas strapazierten Schönheit, die vierzehn Monate zuvor noch als Nachrichtenhelferin Freude in die einsamen Nächte deutscher Soldaten gebracht hatte, trieb er sich in der Küche und anderswo herum. Und so nahm das Verhängnis seinen Lauf …
Kurt Westenhoff kam mit seiner schönen Sekretärin. Drei CIC -Agenten hatten deutsche Freundinnen eingeladen. Und dazu saßen noch zwei sehr, sehr attraktive Damen vom sogenannten »Art Collecting Point« am Tisch, die eine in einer französischen Uniform,
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