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Es muß nicht immer Kaviar sein

Es muß nicht immer Kaviar sein

Titel: Es muß nicht immer Kaviar sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Jeep bremste neben Thomas Lieven. »Gospodin Scheuner, nicht wahr?« sagte der Hauptmann in kehligem Deutsch. »Entschuldigen, Verspätung. Reifen nix gutt, gehen kaput! Doch jetzt: Willkommen, Gospodin, herzlich willkommen!«
    8
    Das Palast-Café von Zwickau war genauso traurig anzusehen wie alles andere in der 120 000 Einwohner zählenden Stadt. Sechs Stunden nachdem er eine Gemeinschaftsflucht von beträchtlichem Ausmaß in die Wege geleitet hatte, saß Thomas in einer Ecke des erwähnten Etablissements und trank Ersatzlimonade.
    Er hatte nichts mehr zu tun an diesem 27. Mai. Der Hauptmann, der ihn an der Grenze abgeholt hatte, war mit ihm bis zur Kommandantur Zwickau gefahren. Der sowjetische Stadtkommandant, ein gewisser Oberst Melanin, hatte sich durch einen Dolmetscher entschuldigen lassen und Thomas auf den anderen Tag, neun Uhr, bestellt.
    So war Thomas denn zuerst in ein – tristes – Hotel und danach hierher gewandert. Er sah die traurigen Menschen an, die Männer in den uralten zweireihigen Anzügen und den zerschlissenen Hemden, die ungeschminkten Frauen mit den Wollstrümpfen, den alten Korkschuhen und den strähnigen Haaren, und er dachte: Ach Gott, und da, wo ich herkomme, geht es schon wieder ganz nett rund. Es wird geschoben, geschuftet und gerafft. Ihr armen Kerle aber seht aus, als ob ihr den Krieg ganz allein verloren hättet!
    Am Tischchen gegenüber saß ein stattliches Paar: das einzige stattliche Paar, das Thomas bisher in Zwickau hatte entdecken können. Die Frau war eine üppig-straffe Schönheit mit herrlichem weizenblondem Haar, einem slawischen, sinnlichen Gesicht und strahlenden blauen Augen. Sie trug ein enges grünes Sommerkleid. Über einem Stuhl hing ein Leopardenmantel.
    Ihr Begleiter war ein muskulöser Riese mit ganz kurz geschnittenem grauem Haar. Er trug den typischen blauen Einheitsanzug der Russen mit überbreiten Hosenbeinen, wandte Thomas den Rücken und redete mit seiner Dame. Ohne Zweifel waren das Sowjetmenschen. Plötzlich zuckte Thomas zusammen. Die weizenblonde Dame flirtete mit ihm! Sie lächelte, zeigte die Zähnchen, zwinkerte, schloß das eine Auge halb …
    Hm!!!
    Ich bin ja nicht wahnsinnig, dachte unser Freund, drehte sich zur Seite und bestellte noch eine Flasche Ersatzlimonade. Nach dem dritten Schluck sah er dann doch wieder hin.
    Die Dame lächelte. Da lächelte auch er. Danach ging alles sehr schnell. Der Begleiter der Dame fuhr herum. Er sah aus wie Tarzan, made in UDSSR . Sprang hoch. War mit vier Sätzen bei Thomas. Packte ihn am Jackett. Aufschrei der Gäste. Das erbitterte Thomas. Noch mehr erbitterte ihn, daß er hinter dem eifersüchtigen Riesen die Weizenblonde erblickte, die aufgestanden war und durchaus den Eindruck machte, als genösse sie die Szene höchlichst. Du Luder, dachte Thomas, das ist also eine Tour von dir, du hast etwas davon, wenn …
    Weiter dachte er nicht, denn da traf ihn die Faust des Riesen im Bauch. Das war Thomas zuviel. Er tauchte unter dem russischen Tarzan durch und riß ihm die Beine unter dem Leib weg. Zum zweitenmal an einem Tag Jiu-Jitsu. Diesmal der »Segler-Trick«. Da der Othello aus Rußland vor der Barriere der Garderobe gestanden hatte, fiel er jetzt über dieselbe und verschwand hinter ihr. Aus den Augenwinkeln sah Thomas, wie ein sowjetischer Unteroffizier die Pistole zog.
    Mut ist eine Frage der Intelligenz. Man muß wissen, wann man genug hat. Thomas duckte sich und raste zum Ausgang und auf die Straße hinaus. Rotarmisten waren zum Glück keine zu sehen. Die Deutschen kümmerten sich nicht um Thomas. Wenn ein Deutscher rannte, hatte er von vornherein ihre Sympathie.
    Thomas rannte bis zum Schwanenteich. In dem schönen alten Park fiel er keuchend auf eine Bank. Erholte sich nach einer Weile. Und schlich dann vorsichtig in sein Hotel.
    Anderntags, Punkt neun Uhr, ließ der Dolmetscher einen rasierten, eleganten, zuversichtlichen Thomas Lieven in das Büro des Stadtkommandanten von Zwickau treten. Danach allerdings rührte unseren Freund fast der Schlag. Denn der Stadtkommandant von Zwickau, der sich hinter seinem Schreibtisch erhob, war niemand anderer als jener eifersüchtige Sowjettarzan, den Thomas am Nachmittag zuvor mit dem »Segler-Trick« hinter die Garderobenbarriere des Palast-Cafés befördert hatte …
    Heute trug der Riese Uniform. Auf seiner Brust gab es viele Orden zu bewundern. Er musterte Thomas schweigend.
    Indessen überlegte jener: Büro im dritten Stock. Durchs Fenster ab? Hat

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