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Es muß nicht immer Kaviar sein

Es muß nicht immer Kaviar sein

Titel: Es muß nicht immer Kaviar sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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sich gerade Peter Scheuner.
    Vor ihm im Moos lag eine Landkarte. Nach dieser orientierte sich Thomas zum wiederholten Mal. Da, wo der Wald aufhörte, begann eine blühende Wiese. Mitten durch die Wiese gluckste ein kleiner, fröhlicher Fluß. Vielleicht wäre er nicht so fröhlich gewesen, wenn er gewußt hätte, daß er die US -Zone Deutschlands von der Sowjetzone Deutschlands trennte.
    An diesem Flüßchen hörte das eine Deutschland auf, und das andere fing an. Die Karte zeigte das durch eine Schraffierung in brauner Farbe – hoffentlich, dachte Thomas, um daran zu erinnern, wer die Schuld trägt, daß es nun zwei Deutschland gibt …
    Zwölf Uhr mittags am 27. Mai: Das war die verabredete Zeit. Die drei Bäume hinter dem kleinen Fluß: Das war der verabredete Ort. Da sollte ein Soldat der Roten Armee stehen, der Thomas in Empfang nahm. Er stand nur nicht da …
    Kinder, Kinder, dachte Thomas Lieven, das ist aber schon eine tolle Schlamperei! Da habe ich nun meinen Freund Bastian nach Zwickau geschickt, um mit den Tschechen über – natürlich gefälschte – Pläne eines Wunderzielgerätes zu verhandeln. Die Sowjets haben Bastian hochgenommen. Klar, daß ich Bastian raushauen muß! Klar, daß ich also hier liege am Mittag dieses 27. Mai. Ich bin bereit. In meiner Aktentasche trage ich die gefälschten Pläne bei mir. Hier liege ich und warte auf den Rotarmisten, der mich hinüberholt aus dem einen Deutschland in das andere Deutschland. Aber der Kerl ist nicht da. Ja, kann denn
nichts
im Leben glatt und ohne Aufregung ablaufen?
    Thomas Lieven lag am Waldrand bis 12 Uhr 28. Als sein Magen zum erstenmal knurrte, tauchte drüben, jenseits des Flusses, ein Sowjetsoldat auf. Er trug eine Maschinenpistole vor sich her. Zwischen den drei Bäumen blieb er stehen und sah sich um. Na also, dachte Thomas. Er stand auf und ging auf die Wiese hinaus. Der Rotarmist, ein junger Bursche, sah ihm entgeistert entgegen.
    »Hallo!« rief Thomas im Fürbaßschreiten und winkte dem Soldaten freundlich zu. Am Ufer des Flusses hielt er an und zog Schuhe und Strümpfe aus. Dann krempelte er die Hosen hoch. Dann watete er durch das eiskalte Wasser zum anderen Ufer. Mitten im Fluß hörte er einen heiseren Schrei und blickte überrascht auf.
    »Stoj!« brüllte der junge Rotarmist und noch einiges dazu. Thomas verstand ihn nicht, nickte freundlich, watete weiter und erreichte das andere Ufer. Der junge Rotarmist drang auf Thomas ein. Dem fiel es plötzlich wie Schuppen von den Haaren. Herrjesus noch mal. Das ist gar nicht mein Rotarmist, der mich abholen soll! Das ist ein ganz anderer Rotarmist! Einer, der keine Ahnung davon hat, daß ich abgeholt werden soll!
    Der Rotarmist schrie kehlig auf ihn ein.
    »Mein lieber junger Freund, nun hören Sie einmal zu«, begann Thomas. Da hatte er den Lauf der MP in den Rippen. Er ließ Schuhe, Socken und Aktentasche fallen und hob die Hände. Entsetzlich, dachte er. Nun also auch noch die Rote Armee …
    In Erinnerung an eine weit zurückliegende, aber ausgezeichnete französische Jiu-Jitsu-Erziehung wandte er sodann den sogenannten »Doppelten Schmetterlingsgriff« an. Bruchteile von Sekunden später wirbelte der Rotarmist aufschreiend durch die Luft und flog mitsamt seiner Maschinenpistole in den Fluß. Schuhe, Socken, Aktentasche packte Thomas, um loszurennen – hinein in die Sowjetzone.
    Da erschütterte ein Trampeln und Dröhnen die Erde. Entsetzt sah er auf. Aus dem Waldrand auf der sowjetzonalen Seite der Wiese waren mindestens fünfzig Menschen – Männer, Frauen, Kinder – hervorgebrochen. Wie von Sinnen rasten sie auf den Fluß zu, durchwateten ihn und rasten weiter hinein in die amerikanische Zone Deutschlands.
    Entgeistert starrte Thomas ihnen nach. Allen diesen Menschen hatte er zur Flucht in den Westen verholfen! Alle diese Menschen hatten, wie er im Westen, hier im Osten auf der Lauer gelegen. Thomas lachte irre. Dann sah er, wie der Russe aus den Fluten auftauchte und nach Luft schnappte, und rannte los. Hinter sich vernahm er das Gebrüll des jungen Rotarmisten. Dann fielen Schüsse. Thomas hörte Kugeln pfeifen. (Merke: Sowjetische Maschinenpistolen schießen auch naß!)
    Die Straße herauf kam ein russischer Jeep. Ein Hauptmann saß neben dem Fahrer. Der Hauptmann sprang auf, hielt sich an der Windschutzscheibe fest und brüllte wilde russische Worte zu dem wild schießenden Rotarmisten auf der Hügelhöhe empor. A tempo hörte der junge Rotarmist auf zu schießen. Der

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